Der Retuscheur
vor der Tür stehen. Er suchte etwas in seinen Taschen. Er fand es, doch dieses Etwas verfing sich im Futterstoff und wollte sich nicht herausnehmen lassen. Er fluchte wieder, zog stärker. Der Stoff zerriss, ein schwarzer Gegenstand fiel mit metallenem Scheppern auf die Betonstufe.
Dadurch erwacht, bekam ich kaum den Kopf hoch. Meine Arme waren eingeschlafen, mein Nacken schweißbedeckt. Ich stand mühsam auf, zog mich, während ich mich ins Schlafzimmer hinüberschleppte, aus, fiel auf das Bett und sank wieder in Schlaf. Und der eben geträumte Traum ging weiter.
Der Mann war schon im Studio, stand an meinem Arbeitstisch, auf dem unerfindlicherweise die Lampe brannte – ich hatte sie doch ausgemacht! sodass in ihrem Licht das Negativ mit dem Gruppenfoto des Restaurantbesitzers hell aufglänzte. Er beugte sich über den Tisch und schob das Foto beiseite. Unter ihm wurde das Foto Minajewas sichtbar, dazu beide Negative – das alte, verpfuschte, und das neue, von mir angefertigte.
Die Gestalt auf dem alten Negativ war von meinem Skalpell entfernt worden.
Der Mann in meinem Traum richtete sich auf, sah sich um, trat zum Regal, zog einen Schubkasten heraus, dann einen anderen, begann die von mir datierten Kuverts durchzusehen, griff das mit den Fotos Andronkinas heraus. Ganz in der Nähe des Hauses hupte laut ein Auto, der Mann warf das Kuvert in den Schubkasten, schob ihn zurück, dass es knallte, ich erwachte wieder, stieg aus dem Bett, verließ das Schlafzimmer, schaltete das Licht ein.
Auf dem Tisch lag das Foto Minajewas.
Ich blickte zur Metallkugel und hatte plötzlich das Gefühl, in ihr spiegele sich außer mir noch jemand. Ich wandte mich jäh um und seufzte erleichtert auf: Im Studio war niemand außer mir.
Ich steckte das Foto Minajewas in ein neues Kuvert, das ich in die Tischschublade legte, löschte das Licht und schlief, bis der Wecker klingelte, traumlos weiter.
Spurlos ging der Traum doch nicht an mir vorüber: Der nebelhafte Mann, der mir erschienen war, verfolgte mich. Als ich unter der Dusche stand, glaubte ich sein verschwommenes Gesicht zu sehen, versuchte herauszufinden, wer es war, und zu begreifen, woher er kam, warum er mich heimgesucht hatte, nicht um etwas mitgehen zu lassen, sondern um sich an meinen Arbeitstisch zu stellen und die von mir gemachten Fotos durchzusehen.
Ich war überzeugt – und bin es heute noch –, dass Träume nicht aus dem Nichts kommen, dass jeder Traum seinen Hintergrund hat.
Als ich das Badezimmer verließ und sah, dass jemand an meinem Arbeitstisch saß, mit dem Rücken zu mir, erschrak ich deshalb nicht einmal. Zumal ich im nächsten Augenblick erkannte, wer da in mein Studio eingedrungen war.
Es war Alina.
Lautlos trat ich an den Tisch heran und legte ihr, die unverwandt das vom Foto des Restaurantbesitzers angefertigte Negativ betrachtete, die Hand auf die Schulter.
»Oh!« Sie sprang auf. »Du hast mich aber erschreckt! Schleichst dich an wie ein Indianer! Winnetou!«
»Bist du wegen des Desserts gekommen?«, fragte ich, den Arm um ihre Taille legend.
»Gena, Gena!« Sie versuchte zu entschlüpfen, doch ich fing ihre Arme ein, bog sie ihr auf den Rücken und drückte Alina fester an mich.
»Verzeih! Bitte, verzeih mir!« Ich versuchte sie auf die Lippen zu küssen.
Sie zog ihren Mund mit einem Ruck zur Seite, mein Kuss traf ihren Hals.
»Lass mich los!«, sagte sie mit einer unmutigen Grimasse, was ich natürlich tat.
Sie ging um den Tisch herum und blieb auf der anderen Seite stehen. In ihrem Blick lag etwas Neues, und überhaupt besaß sie kaum noch Ähnlichkeit mit der Alina, die sich neulich erst an mich gehängt hatte. Ich nahm das Handtuch von meinem Hals und begann mir die Haare trocken zu reiben.
»Ich bin in letzter Zeit irgendwie übermüdet«, sagte ich. »Alles liegt wie im Nebel. Die Hände zittern. Ich verwechsle Tag und Nacht.«
Beim Betrachten des Negativs, das mir in der Nacht makellos erschienen war, stellte ich fest, dass die Gesichter der neben den wegretuschierten Kerlen Stehenden beschädigt waren.
»Siehst du, ich habe es verdorben.« Ich beugte mich über das Negativ. »Ich werde es neu machen müssen. So was ist mir schon lange nicht mehr passiert.«
»Und das auch nicht.«
»Was meinst du?«
Sie griff nach dem Negativ mit Minajewa.
»Das liier! Ist diese Schönheit hier gewesen, ja?«
Sie ließ den beiden – Kulagin und Alina – einfach keine Ruhe, diese Minajewa!
»Auch du bist
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