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Der Retuscheur

Der Retuscheur

Titel: Der Retuscheur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Stachow
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so unter dem Eindruck des Erlebten, dass ich mich nicht umsah, niemanden und nichts bemerkte.
    Als ich die Wagentür aufschloss, einstieg, mich anschnallte und den Motor anließ, trat allerdings aus dem Eingang gegenüber ein Mann mit Lederjacke, die offenkundig nicht recht zum Wetter passte. Ich wendete, bog in die Toreinfahrt ein und beobachtete ihn im Rückspiegel. Der Mann zog aus der Innentasche ein Sprechgerät, drückte, während er mir nachblickte, auf einen Knopf, um sich mit jemandem zu bereden.
    Ob es um mich ging? Damals verwendete ich darauf keinen Gedanken, gibt es doch neuerdings Leute mit Sprechgeräten zur Genüge.
     
    Zu Hause ging ich sofort an die Arbeit. Ich weiß nicht, was mich dazu bewog, aber als Erstes beschloss ich, den Auftrag des Restaurantbesitzers zu erledigen.
    Mit Hilfe der zuverlässigen »Linhof« stellte ich ein Negativ 24 x 30 her und befestigte es nach dem Trocknen im Retuschiergerät.
    Obwohl der eine zu Entfernende seinem linken Nachbarn den Arm um die Schultern gelegt hatte, stand er nicht ganz dicht neben ihm und hatte niemanden rechts neben sich. Sacht führte ich ein ums andere Mal den Schaber von oben nach unten über diese Gestalt.
    Sie verschwand.
    Dann nahm ich mir den Zweiten vor.
    Mit ihm hatte ich einige Mühe, doch bald schon begann ich auf die leeren Stellen des Negativs Graphitpulver aufzutragen. Ganz vertieft in meine Arbeit, verlor ich das Zeitgefühl, hin und wieder nur steckte ich mir zur Entspannung eine Zigarette an und kühlte die Hände an meiner geliebten Metallkugel.
    Kulagins Anruf erreichte mich in einer Art Retuscheurapotheose. Ich nahm den Hörer ab und klemmte ihn zwischen Schulter und Kinn.
    »Was gibt’s?«
    Seit sich Kulagin an mich gehängt hatte, versuchte ich dahinterzukommen, was er für einer war. Ein undurchsichtiger Typ. Ich wusste praktisch nichts über ihn. Ob er verheiratet war, was er machte, wenn er nicht mit mir zu tun hatte, wofür er sich interessierte – all das war mir unbekannt.
    Er kümmerte sich eifrig um meine Angelegenheiten, sprach mich mit dem deutschen Wort »Genosse« an, borgte sich häufig Geld. Allerdings biederte er sich nicht an, wurde mir nicht lästig mit Gesprächen, und wenn er manchmal ins Reden kam, so geschah es zurückhaltend, ohne Schwatzhaftigkeit. Er schien um den Eindruck eines seriösen, gescheiten Menschen bemüht.
    Doch allmählich trat eine Eigenschaft besonders deutlich zutage: Neid.
    Kulagin war sehr neidisch, aber auch das auf besondere, auf Kulagin’sche Art. Auf meine Einkünfte zum Beispiel war er nicht neidisch. Auch nicht darauf, dass manche Mädchen bei mir blieben, während sie ihn abblitzen ließen. Sein Neid kam immer plötzlich zum Ausbruch, für mich völlig unerwartet.
    So auch diesmal. Er war mit Minajewa in dem Restaurant speisen gewesen, von dessen Besitzer ich den Auftrag erhalten hatte, hatte danach aber von ihr einen Korb bekommen mit der Erklärung, sie wolle zu mir fahren und sich von ihm auch noch herchauffieren lassen. Damit nicht genug, hatte sie Kulagin bestimmt noch an seiner wunden Stelle getroffen, als sie andeutete, was sie in meinem Studio vorhabe.
    Kulagin flocht Wortgespinste, trachtete, seinen Neid zu verbergen, doch der guckte ihm aus allen Knopflöchern.
    »Ja, sie ist bei mir gewesen«, gestand ich. »Du darfst vor allem nicht eifersüchtig sein, Kolka!«
    Kulagin erklärte, er sei überhaupt nicht eifersüchtig, er hätte bloß gern gewusst, ob die Minajewa nicht immer noch bei mir stecke. Sie ließ ihm einfach keine Ruhe!
    Ich verneinte es.
    Da wollte Kulagin wissen, ob ich sie gebumst hätte.
    Ich sagte ihm die Wahrheit.
    »Nein, ich habe sie nicht gebumst, obwohl sie sich anbot. Glaubst du’s nicht?«
    Kulagin glaubte es nicht. Er näselte, wir beide seien Freunde und Freunde vertrauten einander, ich ihm aber nicht.
    »Ich vertraue dir«, sagte ich. »Ehrlich, Kolka, ich vertraue dir. Bloß hör auf damit! Bitte! Gut?«
    Kulagin sagte, er werde ganz bestimmt damit aufhören, wenn ich ihm den Grund erklärte.
    »Was für einen Grund?«, fragte ich.
    »Warum du sie nicht gebumst hast!«
    Er ödete mich dermaßen an, dass ich ihm, wenn es gegangen wäre, bestimmt eins in die Fresse gegeben hätte.
    »Weil ich dazu keine Zeit hatte!«, brüllte ich.
    »Keine Zeit? Du? Na, du machst mir Spaß!«
    »Hol dich der Kuckuck!« Ich warf den Hörer auf die Gabel.
    Keine Minute war vergangen, als Kulagin erneut anrief.
    Ich überlegte eine Weile, ob ich abnehmen

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