Der Retuscheur
Glatzkopf lächelte und ließ kleine gelbe Zähne sehen. »Aber egal – auf Wiedersehen. Sie bekommen von uns eine Vorladung.«
Siebentes Kapitel
Jetzt sitze ich und warte. Wir sind verabredet. Sie muss kommen.
Wahrscheinlich kommt sie nicht allein, sondern mit so einem Muskelmann, der imstande ist, mir mit einem trainierten Schlag das Rückgrat zu brechen. Oder mit zwei zupackenden und leidenschaftslosen Profis, die mir die Hucke vollhauen. Wie viele es sind, ist bedeutungslos. Jedenfalls werden sie alle Kraft und alles Können einsetzen, um mich gefügig zu machen, und mich dann beseitigen. Mag ich auch selbst nie in Verdacht geraten, einen Zeugen, den sie benutzt haben, werden sie um keinen Preis am Leben lassen.
Das heißt mich.
Sie wird kommen, davon bin ich überzeugt. Sie kann sich nicht auf irgendwelche breitschultrigen jungen Kerle verlassen wollen. Sie muss sich vergewissern, dass ich alle ihre Anweisungen ausgeführt habe. Kontrollieren, dass die Reste meines Archivs, alle mir und meinem Vater gehörenden Papiere, alle Fotos, die direkt oder indirekt unsere ererbte Gabe belegen, vernichtet worden sind.
Darüber hinaus wird sie nach ihren Fotos suchen: Wen verlangt es schon, einem auf dem Fuß zu folgen, dessen Todesurteil er selbst unterschrieben hat?
Zweifellos hat sie längst erkannt, dass ich unkontrollierbar geworden bin und jeden Moment mein eigenes Spiel anfangen kann. Ja, ich kann ihr noch eine Überraschung bereiten, aber es wäre schon besser, wenn sie allein käme.
Sollen ihre Begleiter einstweilen draußen warten, in der Anläge, auf der Bank. Wie diese Jungs doch ihren muskulösen Körper zur Geltung zu bringen verstehen! Nie machen sie einen krummen Rücken, nie beugen sie sich vor, nie stützen sie die Ellbogen auf die Knie. Sie sitzen gewichtig da, mit gespreizten Beinen. In ihrer Haltung liegt ein mystischer Sinn. Ihr Verborgenes öffnet sich der Welt, es ist, als ginge davon ihre Manneskraft aus, die alles zu zermalmen vermag.
Sie wird mir um den Bart gehen, sich rechtfertigen, davon reden, dass es sich um ein Missverständnis handle, dass ich sie falsch verstanden habe. Sie wird mich umschmeicheln wie eine Katze, einen Buckel machen und es mir übel nehmen, wenn ich sie nicht streichle.
Damit sich der Verdacht nicht verstärkt, werde ich sie streicheln müssen. Ehrlich gesagt, will ich das ja auch selbst, aber wie soll ich wissen, was sie sich dort ausgedacht haben? Und dann, auf dem Höhepunkt unserer Zärtlichkeiten, wird ein junger Mann mit undurchdringlichem, ruhigem Gesicht auf der Bildfläche erscheinen – Schlüssel waren und sind für sie kein Problem, trotz der ausgewechselten Schlösser –, er wird den Beleidigten, den Bruder, den hintergangenen eifersüchtigen Liebhaber spielen, und zwar ungeschickt, überzogen oder aber plump und banal.
Er wird mich an der Kehle packen. Mich schütteln. Meine Halswirbel werden knacken. Als Letztes werde ich ihren gleichmütigen Gesichtsausdruck sehen: Entschuldige, ich kann nichts dafür, du bist selber schuld, eure Gabe, deine und die deines Vaters, ist der Grund, es hat sich eben so ergeben. Da ist nichts zu wollen.
Mein Körper wird auf dem Fußboden liegen. Wenn sie an mir vorbei zum Ausgang geht, wird sie bloß teilnahmslos die Schultern zucken.
Streng genommen habe ich keine Alternative.
Ich kann natürlich zum Schaber greifen, ehe sie erscheint, doch wer weiß, wie lange ich auf die Befreiung vom Original warten muss. Hinzu kommen die, die hinter ihr stehen. Ob ich sie entferne oder nicht, ändern wird sich deshalb nichts für mich. Ein Entrinnen gibt es nicht für mich, und Fotos all der anderen, dieser jungen Kraftmenschen und der hinter ihnen Stehenden samt deren Kumpanen, besitze ich nicht. Ich bin – obwohl bei einer solchen Gabe eine so einfache und zugleich komplexe Bezeichnung kaum anwendbar ist – geliefert. Ich bin in die Enge getrieben.
Als mich der kahlköpfige Vernehmer gehen ließ, war ich allerdings noch optimistischer gestimmt. Es konnte einfach nicht sein, dass alles so endete, die Zeugnisse meiner Gabe hatten nichts Zufälliges mehr, sie fügten sich zu einem einheitlichen Ganzen, doch das Wichtigste war das Gefühl der Annäherung an die erwachsen gewordene und mir so nahestehende Lisa.
Ich war voll unklarer Hoffnungen. Was machte es, dass sie nicht Lisa hieß? Nicht der Name war entscheidend. Ich hatte den Eindruck, mich mit ihrer Hilfe aus der Zwickmühle befreien zu können, die reale Züge
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