Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Retuscheur

Der Retuscheur

Titel: Der Retuscheur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Stachow
Vom Netzwerk:
einem ringförmigen Lippenstiftfleck am Filter. Befreit von seiner Last, war er im Begriff, zu seinem Platz in der Zimmerecke zurückzukehren, doch Bai stoppte ihn:
    »Öffner!«
    Der Wachmann verließ wieder das Zimmer, kam mit einem Öffner zurück, machte eine Flasche auf, füllte dienstfertig ein Glas und legte den Öffner neben das Tablett. Ich sah Bai an: Er betrachtete mich mit breitem genüsslichem Lächeln.
    »Geheimratsecken!«, stellte er weiter lächelnd fest. »Falten. Du bist gealtert. Also, soll ich dir eingießen?«
    »Gieß ein. Habe ich doch gesagt.«
    Bai nahm die Flasche und schenkte ein, dann griff er nach dem Glas mit Wasser.
    »Was ist das?« Ich wies auf das für mich bestimmte Glas.
    »Weiß der Teufel!« Bai zuckte die Schultern. »Vielleicht Kognak?«
    Er wandte sich dem Leibwächter zu. Der stand ruhig in der Ecke und wischte sich mit einem schneeweißen Taschentuch die großen, weich erscheinenden Hände.
    »Ist das hier Kognak?«, fragte Bai.
    »Kognak«, bestätigte der Wachmann knarrend.
    Ich nahm das Glas. Bai hob das seine mit Mineralwasser gefüllte hoch.
    »Wohl bekomm’s!«, sagte er. »Den hat irgendein Franzose mitgebracht. Für sie geht Kognak über alles. Kognak ist bei ihnen eine Religion. Er hat hier allen eingegossen, sich selber volllaufen lassen und geweint. ›Wie konntet ihr die Ideale verraten?s sagte er. AVie konntet ihr nur?! Wir haben auf euch gebaut!‹ Kannst du dir das vorstellen?« Er lachte dumpf, nahm einen großen Schluck Mineralwasser und rülpste zur Seite. »Die Ideale des Kommunismus! Ich zu ihm – nun, haben wir, und was weiter? Zum Teufel mit ihnen, den Idealen! Die Antwort darauf blieb er schuldig!«
    Ich nippte an meinem Glas. Es war tatsächlich Kognak. Guter Kognak.
    »Wie geht es deinem Vater?«, wollte Bai wissen.
    Diese Frage kam so überraschend, dass ich mich verschluckte.
    »Er ist tot. Ums Leben gekommen. Vor anderthalb Wochen.«
    Der Leibwächter steckte sein Taschentuch ein und sah mich aufmerksam an, Bais Lächeln erlosch.
    »Entschuldige, das habe ich nicht gewusst«, sagte er und rief dem Wachmann über die Schulter zu: »Setz dich einstweilen in die Küche!«
    »Maxim Borissowitsch!« Der Leibwächter zog seine schmalen Brauen hoch, die Haut auf seiner Stirn legte sich in tiefe Falten. »Wir haben doch eine Abmachung getroffen!«
    »Und wenn eine Frau gekommen wäre?« Bai zwinkerte mir zu.
    »Aber Genosse Miller ist keine Frau!«
    »Das stimmt!« Bai lachte wieder. »Wie hast du das gemerkt? Schon gut. Geh in die Küche!«
    Der Leibwächter zog sein Jackett straff und verließ das Zimmer.
    »Und mach die Tür zu!«, schickte ihm Bai hinterher.
    Der Wachmann schüttelte unzufrieden den Kopf, schloss jedoch die Tür.
    »Sie weichen keinen Schritt von mir«, sagte Bai rasch. »Lassen mich nicht aus der Wohnung. Trink du mal, trink.«
    Er schüttete Wasser in sich hinein, füllte sein Glas, trank einen Schluck. Ich sah ihn an und überlegte, womit ich anfangen sollte.
    Bais Gesicht nahm einen träumerischen Ausdruck an.
    »Hier ist tatsächlich einmal eine Dame gewesen«, sagte er. »Ein Vollblutweib. In einer geschäftlichen Angelegenheit. Wir unterhielten uns. Geschäftlich. Beredeten einige Probleme. Und kannst du dir das vorstellen, was ich für eine Lust auf sie bekam! Mir war geradezu, als wäre hier« – er legte die Hand vor seine Schamgegend – »alles mit Blei ausgegossen. Und was glaubst du? Dieser Schwanz ging erst raus, als ich schon nahe dran war, es ihr zu machen. Gut noch, dass die Frau Verständnis hatte. Solche trifft man ja selten! Was trinkst du denn nicht?«
    »Es ist heiß«, sagte ich.
    »Das stimmt! Heiß ist es. Na schön, Genka, zur Sache. Was haben sie für Vorschläge?«
    »Vorschläge? Wer? Ich verstehe nicht.«
    Bai stellte das Glas hin und kam dicht heran. Schwerer Schweißgeruch ging von ihm aus. An seinen Nasenflügeln saßen Pickel. Sein Hemdkragen war speckig. Es wäre nicht verkehrt gewesen, wenn er sich rasiert hätte.
    »Ich brauche Garantien, Gena!«, sagte Bai, nahe daran, seinen straffen Bauch gegen mich zu pressen. »Ohne Garantien gebe ich nichts her. Und auch mit Garantien werde ich es mir noch überlegen. Die Informationen sind es wert.«
    »Wovon redest du?« Ich rückte ab.
    Ein Schatten huschte über sein Gesicht. Er kratzte sich im Nacken, wandte mir den Rücken zu, ging zu einem Sessel an der Wand.
    »Das heißt, du kommst doch nicht von Wolochow?«, sagte er, während er sich

Weitere Kostenlose Bücher