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Der Retuscheur

Der Retuscheur

Titel: Der Retuscheur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Stachow
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Papieren?
    Doch nicht, um mir zu helfen. Meine allerdings geringen Erfahrungen mit solchen Typen zeugten davon, dass diese Leute immer im Dienst und solche wie ich ihnen scheißegal waren. Ja, scheißegal. Nimmt, wie er sich ausgedrückt hatte, Weiber auf und ist zudem nach seinen Maßstäben reich. Jedenfalls reicher als er selbst, der angeblich von früh bis spät ackert und dafür weder Anerkennung noch entsprechende Bezahlung erfährt. Nichts als Zurechtweisungen seitens der Obrigkeit.
    Ich schleppte mich in die Küche und trank Leitungswasser. Der Alkohol durchbrauste mich, in den Schläfen hämmerte es. Ich musste mich schnell auf einen Hocker setzen und tief Luft holen: Er hatte mich absichtlich betrunken gemacht, bestimmt um mich auszuquetschen und danach hopp zunehmen. Von solchen Gedanken wurde es mir ganz und gar schlecht: Ich erbrach alles, was mir im Magen rumorte, in die Spüle.
     
    Nachdem ich mich unter der Dusche wieder gefangen hatte, trank ich kalten Tee, holte aus dem Köfferchen mein Notizbuch und suchte nach Baibikows Telefonnummer. Lange wurde nicht abgehoben, ich wollte schon aufgeben, als es knackte und mich eine tiefe, voluminöse Stimme einhüllte.
    »Ja! Ich höre!«
    »Ich hätte gern Maxim gesprochen«, sagte ich.
    »Bitte?«
    »Ich hätte gern Maxim Borissowitsch gesprochen«, korrigierte ich mich.
    »Wer ist da?« Der mit der tiefen Stimme war streng.
    »Hier ist Genrich Miller.«
    Eine kleine Pause trat ein, wonach dieselbe Stimme, aber schon etwas lebhafter und weniger tief, sagte:
    »Einen Moment!«
    Der Moment zog sich in die Länge. Ich griff nach einer Zigarette. Rauchen auf leeren Magen und in Katerstimmung vermag die Zeit abzubremsen. Die Hämmerchen in meinen Schläfen arbeiteten so, als hätte sich in mir eine ganze Stachanow-Brigade {8} angesiedelt. Der Rauch kratzte in meinem Rachen.
    Endlich kam Bai ans Telefon.
    »Grüß dich!«, sagte er, als hätten wir uns vor ein, zwei Tagen gesehen und ich hätte mein Versprechen anzurufen nicht eingehalten. »Nun, was gibt es Neues?«
    »Maxim, ich habe ein Anliegen«, begann ich, aber just in diesem Augenblick schienen die Hämmerchen meine Schläfen durchschlagen zu wollen.
    »Sprich lauter!« Bai sprach selbst immer gern laut am Telefon. »Du bist schlecht zu hören!«
    »Ich habe ein Anliegen«, wiederholte ich.
    »Komm her! Hast du jetzt Zeit? Ja? Dann schreib auf.« Und er diktierte mir die Adresse.
     
    Wozu bin ich zu ihm gefahren? Um Gewissheit zu erlangen, dass Tatjana tatsächlich von ihm verführt worden war? Um nicht – es will einem gar nicht über die Zunge! – einen Unschuldigen zu bestrafen?
    Unsinn! Als ob mir das »Aljonka«-Einwickelpapier nicht gereicht hätte! Was sie mir erzählt hatte, war auf fruchtbaren Boden gefallen. Ich wollte es meinem lieben Freund aus Kindertagen schon immer heimzahlen. Was für Strafen hatte ich mir für ihn nicht ausgedacht! Und plötzlich lief er mir direkt in die Arme. Genauer gesagt, auf die Spitze meines Schabers. Hätte ich meine Gabe doch vollendeter, subtiler beherrscht! Ich hätte ihn langsam, auf qualvolle Weise fertiggemacht. Oder ihn am Leben gelassen, aber als Krüppel. Ich hätte einen leukotomischen Eingriff vorgenommen, und Bai hätte bis zum Ende seiner Tage als Pflanze gelebt. Scheußlich, stinkend.
    Ich war bereit zur Rache. Natürlich war ich es. Ich liebte sie ja. Mochte es auch weniger Liebe zu ihr selbst als zu Lisa sein, aber das blieb tief in meinem Innersten verborgen. Ich spürte physisch, was Bai ihr angetan hatte. Mir traten Bilder wie aus einem Schmuddelblatt für Pädophile vor Augen, wie ein Film spulte sich alles vor mir ab, was sie mir erzählt hatte, und von einem bestimmten Moment an, als ich mich in ihren Bericht eingelebt hatte, in ihm aufgegangen war, hatte ich mehr und mehr das Gefühl, ich wäre es, den Bai köderte, hätschelte, umgarnte. Mit mir unternahm er Spazierfahrten, für mich besorgte er Theaterkarten, mich machte er mit göttergleichen Schauspielern bekannt. Mir schenkte er schöne Bücher, mich fütterte er mit Eis und Schokoladentäfelchen. Ich war es zu guter Letzt, den er mit nach Hause nahm, mit dem er über dies und jenes sprach, über den er bereits völlige Macht zu haben glaubte, dessen Hand – noch voller Kratzer von den Versuchen, meinen geliebten Siamkater dazu zu bringen, das Klosettbecken für seinen Dreck zu benutzen – er nahm und auf sein aus dem Hosenschlitz herausgeholtes Glied – riesig, adrig, mit

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