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Der Retuscheur

Der Retuscheur

Titel: Der Retuscheur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Stachow
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andere von makellosem Weiß waren. Sie aß, als hätte sie tagelang gehungert. Ich hingegen biss nur ein Stückchen ab und begann Kreise durchs Zimmer zu ziehen.
    »Hier wohnst du also?«, fragte Lisa, als sie aufgegessen hatte.
    »Ja!« Ich wandte mich zu ihr um. »Wenn du möchtest, zeige ich dir echte meteorologische Karten.«
    »Was für welche?«
    »Meteorologische!«
    Ich nahm den zweiten Stuhl, stellte ihn vor den Schrank und stieg hinauf. Mit dem Rücken spürte ich Lisas Blick. Ich zog eine Rolle herunter, der Rest purzelte mir auf den Kopf, um ein Haar wäre ich heruntergefallen, Lisa musste lachen.
    Ihr Lachen war es, was uns enthemmte, und als ich mich neben sie hinkniete, als ich die Karte auseinanderfaltete, war schon klar, dass es im Moment für uns Wichtigeres gab als die Karte und die Lehrbücher – wir hatten uns eigentlich mit Trigonometrie befassen wollen.
    Ich hob die Augen. Lisa saß noch genauso da. Ich sprang auf und beugte mich über sie. Sie roch nach Wurst, meine Hände, die ich ihr auf die Schultern legte, waren staubig. Wir pressten die Lippen aufeinander, uns durchfuhr gleichsam ein elektrischer Schlag. Sie schnellte hoch und wirbelte, vor mir fliehend, durchs Zimmer. Sie war flinker, sie konnte mich hinter sich lassen, mir überhaupt aus dem Zimmer, aus der Wohnung davonrennen. Sie setzte sich auf mein Bett. Ihre Knie waren jetzt weit gespreizt, der Rock hochgerutscht. Ich sah zum ersten Mal die schmalen Streifen blendend weißer Haut zwischen den Gummibändern der dunkelbraunen Strümpfe und dem schwarzen Slip, die Hautpartien, über die bereits höher steigend meine Finger wanderten. Ihre Hände hielt sie so, als wollte sie einen gegen ihre Brust geworfenen Ball auffangen. Zu diesem Ball wurde mein Kopf. Wurst- und Turnhallengeruch, ihre Finger an meinem Nacken, der sich in meinen Lippen verfangende, straff gespannte Rocksaum, die von Lisa ausgehende Hitze, mein Zittern, meine Erregung.
    Ich fuhr mit dem Gesicht unter ihren Rock, aus irgendeinem Grund mit vorgeschobener Zunge: Sie traf auf ihren Nabel, sein salziger Geschmack verfolgte mich danach tagelang. Sie umfing mich mit den Beinen, gab mir mit ihren Fersen die Sporen.
    »Und wenn er jetzt kommt?!«, sagte sie, als könne sie sich das nur wünschen.
    Sie hatte sehr kleine Brüste, sie rief glücklich und erschrocken »oi!«, als ich nach mehreren missglückten Versuchen in etwas Heißes eindrang, das einen raschen Erguss herbeiführte.
    »So ist das also!«, sagte Lisa danach und legte ihre feuchte Hand auf mein rasch geschrumpftes empfindliches Fleisch. »Du Armer!«
    Wir hörten, wie ein Schlüssel im Schloss gedreht wurde, und fuhren hoch.
    Mich zuknöpfend verteilte ich Bücher und Hefte auf dem Tisch, sie rückte beide Stühle heran. Mein Vater kam herein und blieb hinter uns stehen.
    Ein erfahrener Fotograf erfasst sofort den ganzen Raum, alle Halbtöne. Mein Vater war ein erfahrener Fotograf.
     
    Bei Tanja wurde nicht abgenommen. Ich versuchte es ein paarmal mit demselben Ergebnis: Die Rufnummernanzeige schaltete sich ein, ich hatte den Eindruck, dort sei der Hörer abgenommen worden, und schrie: »Tanja! Tanja!«, doch wieder kamen die langen Töne.
    Das erste Mal rief ich aus der Zelle neben Baibikows Hauseingang an, wo ich das nicht ausgetrunkene Kognakglas auf einem Zeitungskasten abgestellt hatte. An der Zelle lungerten zwei Kerle herum, die mich sehr an Baibikows Leibwächter erinnerten. Trotz der Hitze trugen auch sie Jacketts, beide eckig und sehnig, beobachteten sie mich mit wachen Blicken, und als ich es satthatte, Tanjas Nummer zu wählen, und zu meinem Auto ging, spürte ich, dass ich von zwei weiteren Leuten beschattet wurde, die keinerlei Hehl daraus machten: Ihr Auto stand neben meinem, und sie starrten mich offen an.
    Ich lächelte ihnen zu. Sie lächelten zurück, aber als ich losfuhr, folgten sie mir. Sie abzuschütteln, dazu reichte mein fahrerisches Können nicht aus. Ich musste mich damit abfinden und sah mich gezwungen, so zu fahren, als merkte ich nichts, und zu vermeiden, im Rückspiegel nach ihrem Auto zu gucken. Schließlich bogen sie ab.
    Ich fuhr noch ein paar Umwege, ehe ich mich Tanjas Haus näherte.
    Hinter ihrer Tür blieb es still. Ich sah noch einmal nach der Wohnungsnummer – ja, es schien zu stimmen –, drückte ein zweites, dann ein drittes Mal auf den Klingelknopf. Die Tür öffnete sich knarrend und rasselnd, als ich schon die Treppe hinunterstieg, und hinter mir erklang die

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