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Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Titel: Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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Mätressen gehörten, dringend benötigte. Aber er war nur einer von mehr als hundert Parteisöldnern, die eine solche Vorzugsbehandlung genossen hatten. Jacques hatte Lavache schon mehrmals vernommen, aber noch kein Verfahren eingeleitet. Das würde ihm jetzt erst recht erschwert werden.
    Der zweite Artikel stammte aus dem satirischen Wochenblatt »Canard enchaine«, der aufdeckte, dass innerhalb von neun Jahren angeblich vierzehn Millionen Francs, zwei Millionen Euro, zum größten Teil bar für die private Küche des Pariser Bürgermeisters ausgegeben worden waren, allein an Silvester 94 mehr als 140000 Francs, 20000 Euro. Zahlreiche Rechnungen -231 000 Francs für Phantomgemüse - waren gefälscht. Aber der zuständige Richter stellt jetzt die Untersuchung ein, berichtete der Artikel. Die Ausgaben seien von der Quästur mit der Mehrheit der Stimmen genehmigt worden, und der Rechnungshof habe jederzeit Zugang zu den Quittungen gehabt.
    »Feigling!«, rief Jacques laut und wurde rot vor Wut. Da wollte ein Richter wohl Karriere machen und hatte in dem Fall offenbar nicht recherchiert. Dabei hätte ein Blick in die Zeitung genügt, um festzustellen, was welche Funktionäre im Rathaus getan haben, um diese Zahlungen vor dem Rechnungshof zu verstecken. Wieder einmal war viel Bargeld in die Taschen von
    ein paar Leuten geflossen, die sich am Staat bereichern, da war sich Jacques sicher.
    Den Abend verbrachte er in einer kleinen Strandbar mit mehr Rumpunch, als er am nächsten Morgen gut fand. Margaux hatte per E-Mail eine kurze Mitteilung geschickt, sie sei jetzt für drei bis vier Tage auf einer spannenden Recherche, sehr spannend. Könne deshalb nicht kommen. Grand bisous, großen Kuss. Na, was hatte das schon zu bedeuten. Martine bestätigte den Rechercheauftrag über die Fluglisten.
    Jacques hätte Amadee gern unter irgendeinem Vorwand angerufen. Aber die besaß ja noch nicht einmal ein Telefon. Sie sollte sich ein Handy kaufen, dachte er, bis ihm einfiel, dass die Habitation Alize in einem Funkloch lag. Was soll's, er nahm die Badehose und ein Handtuch aus dem Hotel und fuhr los, bis er einen einsamen Strand fand. Er rieb sich mit Sonnencreme Faktor dreißig ein und legte sich unter eine Palme. Dieser Feigling hat es eigentlich nicht verdient, Untersuchungsrichter zu sein. Was nutzt da aller Ärger, dem ich mich aussetzte, geisterten die Gedanken durch seinen Kopf. Schwimmen bis zur Erschöpfung würde ihm jetzt helfen, er tauchte langsam in das warme Karibische Meer ein und versuchte, sich zu entspannen.
    Er würde nicht den einfachen Weg nehmen wie jener Kollege, der die Barzahlungen für die Küche des Rathauses aus Gefälligkeit als rechtens abgetan hat. Dazu hatte er, Jacques, zu strenge Maßstäbe von zu Hause mitbekommen.
    Vater und Mutter waren beide Lehrer im südfranzösischen Albi gewesen und als Protestanten gewissermaßen beseelt von der Geschichte des Landstrichs am Nordhang der Pyrenäen. Bis ins hohe Alter warfen sie dem katholischen Norden die Unterdrückung des Südens vor, angefangen bei der Ermordung der Katharer und der brutalen Schleifung der majestätisch auf dem Berggipfel liegenden Feste Mont Segur, deren Anblick Jacques nach einem Ausflug mit den Eltern nie vergaß. In Albi war man, aus Tradition gegen den Norden, Sozialist, wenn nicht
    gar Kommunist - und natürlich war man Mitglied der Resistance gewesen.
    Jacques war in dem angenehm warmen Meer weit hinausgeschwommen und bedauerte, keine Taucherbrille zu haben, um in dem glasklaren Wasser nach Fischen, Seesternen und anderem fremdem Getier schauen zu können. Einmal erblickte er die Rückenflosse eines Delfins, dachte für einen Moment, es könnte ein Hai sein, schwamm mit kräftigen Zügen zurück an den Strand und legte sich wieder in den Schatten der Palme. Alle Anspannung fiel von ihm ab, als er an seine Jugend und Albi dachte.
    Festigkeit, wenn es um die republikanischen Werte geht, hatten ihn seine Eltern gelehrt. Aber er hatte auch den Ratschlag beherzigt, dass ein wenig Unordnung besser sei als nur die geringste Ungerechtigkeit. Das hatte ihn Richter werden lassen.
    Seine erste Station war das Gericht von Arles, wo er bald lernte, wie wenig die theoretische Auslegung der republikanischen Werte wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit im Leben wirklich wert war. Gleichheit, so hatte er gelernt, bedeutete auch Gerechtigkeit. Jeder wäre vor dem Gesetz gleich und frei geboren. Von wegen! Ein Bäcker hatte seine Frau erwürgt,

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