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Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Titel: Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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weil er ihre Nervenzusammenbrüche nicht mehr ertragen hatte. Jedes Mal, wenn er den Fernseher anschaltete, tobte sie keifend los. Monate - wenn nicht gar Jahre lang hatte sich der schwer arbeitende Mann zurückgehalten bis zu jenem Abend, an dem sie den Fernseher voller Wut vom Tisch gestoßen und zerstört hatte. Da war der Bäcker aufgestanden, hatte seine Hände um ihren Hals gelegt und zugedrückt, bis sie tot war.
    Jacques hatte ihn einsperren lassen, doch die gesamte Bevölkerung des Dorfes, aus dem der Bäcker stammte, forderte mit einer Unterschriftenaktion die Freilassung ihres Baguette-und-Croissant-Künstlers, so dass der tatsächlich einige Wochen später vorläufig entlassen wurde. Ein alter Rechtsanwalt, der
    den Mann vertrat, besuchte Jacques kurz vor dem Prozess und sagte ihm voraus, der Bäcker werde von den Geschworenen freigesprochen werden.
    So war's.
    Einige Tage später lud der Rechtsanwalt den Untersuchungsrichter zum Mittagessen in ein bei der Bourgeoisie stadtbekanntes Restaurant ein und erklärte ihm bei einem guten, kühlen Cöte du Rhone, er habe den Freispruch nur deswegen erreicht, weil es sich um einen Bäcker gehandelt habe. Bäcker, so der Anwalt, sind die Menschen, die uns unser täglich Brot geben. Denken Sie nur an das Gebet. Gib uns unser täglich Brot.
    Hungergefühl zwang Jacques' Bewusstsein zurück in die Gegenwart. Er richtete sich auf, sah über sich einige Kokosnüsse hängen und warf mit einem Stein nach ihnen. Er traf nicht und gab auf, nahm einen Schluck aus der Wasserflasche, die er im Hotel in das Handtuch eingewickelt hatte, legte sich wieder hin, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte auf das Meer.
    Ja, so war das gewesen mit dem Bäcker. Einige Zeit später saß er im Geschworenengericht. Verhandelt wurde am gleichen Morgen zunächst eine Vergewaltigung, dann ein Raubüberfall, schließlich ein Mord. Diesmal hatte ein Metzger seine Freundin erschlagen, als er von ihr erfahren hatte, dass sie ihn betrog.
    Für mich als Richter, hatte Jacques sich damals gesagt, ein typischer Fall von Affekthandlung. Doch die Geschworenen sahen es anders. Sie wollten den Metzger lebenslang hinter Gitter bringen, und es kostete Jacques und seinen beisitzenden Kollegen große Überredungskraft, um den Laienrichtern verständlich zu machen, dass bei einer Tat, die im Affekt begangen werde, mildernde Umstände angebracht seien, wenn nämlich ein intensiver Gefühlsausbruch, eine Kurzschlusshandlung jegliche Überlegung und freie
    Willensentscheidung bei dem Handelnden ausschaltet. Die Geschworenen verurteilten den Metzger dann »nur« zu zwanzig Jahren.
    Seitdem hasste Jacques Geschworenengerichte.
    In seinen ersten politischen Fall rutschte er, ohne es zu ahnen. Er war inzwischen an das Gericht in Nizza versetzt worden, das immer noch einen besonderen Ruf hat. Auswärtige Richter werden hier ungern gesehen, denn in Nizza kennt man sich und erledigt, was zu regeln ist, untereinander und am Gericht vorbei.
    Eine Japanerin hatte im Casino mit extrem hohen Einsätzen gespielt, hatte gewonnen und schließlich mehrere hunderttausend Francs mitgenommen. Ein Croupier behauptete, sie habe mehrere Tage hintereinander beim Roulette geschickt betrogen, was das Video beweisen könne.
    Jacques schüttelte jetzt noch den Kopf über sich und seine Naivität damals.
    Er hätte schon in dem Moment aufmerksam werden sollen, als er die Vorladung ins Hotel »Negresco« schickte. In diesem Hotel kostete eine Übernachtung ein Viertel seines Gehalts. Deshalb wohnen dort nur noch Russen aus Sankt Petersburg, Japaner aus Osaka, Deutsche aus Mettmann oder Franzosen, die bar bezahlen. Die Japanerin gab als ihre französische Heimatadresse den vornehmen Pariser Vorort Neuilly an, und spätestens in diesem Augenblick hätten bei Jacques die Alarmglocken läuten müssen, denn wer in Neuilly wohnt, hat meist beste Drähte nach oben.
    Aber Jacques verfolgte den Fall neben all den anderen auf seinem Schreibtisch äußerst gemächlich weiter, bis er eines morgens zu seinem Vorgesetzten gerufen wurde. Ein halbes Dutzend japanischer Investoren war im Hotel Matignon beim Premierminister erschienen und hatte, für den Fall, dass die Japanerin weiter belästigt werde, den Bau einer Fabrik in Frage gestellt - woran dreihundert Arbeitsplätze hingen. Jacques ließ
    sich davon überzeugen, dass Arbeitsplätze wichtig sind.
    Trotz des Schattens der Palme lief Jacques der Schweiß den Hals hinunter. Er stützte sich

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