Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
von Bonfort weitgehend in Ruhe gelassen. Trotzdem haben sie versucht zu fliehen, als sie auf Nachschub unterwegs waren und nur von zwei zwar bewaffneten, aber doch harmlosen Vietnamesen begleitet worden sind. Eric hat glänzende Augen bekommen, aber ich habe ihn gewarnt. Flucht ist nicht möglich, denn ein Weißer fällt in diesem Land immer auf und kann sich nicht einfach unters Volk mischen. Fünf Tage hat der Ausbruchsversuch der Legionäre gedauert, und es ist auch nur einer zurückgekommen, der andere ist erschossen worden.
Bonfort hat die Versammlung einberufen und verkündet, die Befreiung sei ausgesetzt. Die Gemeinschaft habe es nicht geschafft, die beiden Deutschen zu solidarischem Verhalten zu erziehen, und so müssten alle am Leiden lernen. Wer zu fliehen versuche, müsse jedoch bestraft werden. Abstimmung. Einstimmig angenommen. Es hat dann auch keiner Mitleid gezeigt, obwohl die Strafe unmenschlich war.
Der Fremdenlegionär wurde auf dem Weg zwischen Hütten und der tiefer, in der Nähe des Flusses liegenden Küche mit einem kurzen Seil an einen Pfahl gebunden, die Hände waren auf den Rücken geschnürt. Keiner durfte ihm helfen, bei Androhung der Strafe, sonst das gleiche Schicksal zu erleiden. In der Nacht hörten wir ihn laut aufschreien und stöhnen, so als werde er zusammengeschlagen. Aber es war wohl nur der Beginn seines Sterbens. Am nächsten Morgen hing er mit
vorgebeugtem Oberkörper auf den Knien, noch lebend, nach Wasser dürstend, umschwärmt von Mücken und Fliegen. Er hielt noch drei Tage durch, umgeben von allerlei Geschmeiß, das an ihm knabberte, Ratten und roten Riesenameisen.«
Jacques legte das Carnet einen Augenblick zur Seite, stand auf und schaute hinaus ins Dunkel. Die Schrift hatte sich verändert, sie wurde schwächer und zittriger, manches Wort war so gekrakelt, dass er es mühsam entziffern musste. Aber er konnte nicht aufhören zu lesen.
Krank
Zur täglichen Arbeit gehört leider auch das Ausheben von Gräbern und die Beerdigung der Toten, zu denen ich ohne Erics Hilfe auch gehören würde, hätte er mich nicht buchstäblich dem Tod vom Bett gestohlen.
Bonfort hatte mich bewusst zu schwerer Arbeit eingesetzt, so dass ich immer hinfälliger wurde. Nur für den, der es nicht selbst erlebt, ist die Feststellung eine Banalität, dass wir, die wir andere Ernährung gewohnt sind, es nicht schaffen, nur mit einer dünnen Reissuppe, manchmal begleitet vom Brei süßer Kartoffeln, unsere Körperkraft aufrechtzuerhalten, wenn wir täglich anstrengender Arbeit ausgesetzt sind. Und man muss Reis als Nahrungsmittel vertragen. Sergeant Bidou aus unserer Straßenbaubrigade wachte eines morgens auf und erklärte, er habe von der Reissuppe geträumt, sei angeekelt gewesen und werde sie nicht mehr essen. Wir haben versucht, ihn zur Vernunft zu bringen, haben allerlei Kochkünste mobilisiert, um Reis anders zuzubereiten. Es reichte nicht. Vier Wochen später ist er gestorben. Vielleicht war das ja seine Art, sich bewusst für den Tod zu entscheiden.
Wenig später ging es mir, ungewollt, an den Kragen.
Jeder von uns war Anfälle von Sumpffieber gewöhnt, sie dauerten meist drei bis vier Tage, an denen man in der Hütte liegen blieb. Wer Glück hatte, der wurde von den anderen mit Wasser und Reissuppe gefüttert. Allein hatte keiner die Kraft, etwas zu sich zu nehmen. Ich litt unter einem besonders heftigen Fieberanfall, verlor durch das Schwitzen große Mengen an Flüssigkeit, die ich nicht wieder aufnehmen konnte, so sehr Eric sich auch morgens und abends darum bemühte. Nach einer Woche sank das Fieber, aber mir ging es nur noch schlechter, jetzt begannen sich meine Innereien zu entleeren, es war wohl Ruhr oder Typhus. Im Lager gab es dagegen keine Medikamente. Empört wegen des Schmutzes und Gestanks, den ich in unserer Baracke verursachte, protestierte die Gruppe gegen mein weiteres Bleiben. So trug mich Eric mit Hilfe von Hong Grosjean ins Krankenlager, eine Hütte, in der die lagen, von denen man erwartete, dass sie wieder gesund würden. Ein Gefangener war als Krankenpfleger eingeteilt, nicht etwa, weil er mal als Sanitäter gedient hätte, sondern weil er bei der Gefangennahme fliehen wollte und, von einer Kugel im Bein getroffen, so unglücklich fiel, dass der Knochen, durch den Schuss schon zersplittert, endgültig brach und sich so verdrehte, dass er nicht richtig geschient werden konnte. Jetzt war das Bein verkürzt, und der Fuß stand ein wenig quer ab. Der Mann konnte
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