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Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Titel: Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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Roten Kreuzes, der offenbar von einem Flugzeug abgeworfen worden war. Bonfort ließ ihn öffnen. Es befanden sich Medikamente darin, unter anderem Penicillin in Pulverform, das - mit destilliertem Wasser verdünnt - gespritzt werden konnte. Doch Bonfort ließ es vor unseren Augen mit der
    Begründung vernichten, dies sei sicherlich ein vergiftetes Geschenk der Imperialisten und Kolonialisten. Damit hat er über manchen Kranken das Todesurteil gesprochen.
    Am Abend beschließt die Versammlung ein Manifest gegen den Abwurf von Medikamenten. Aber Bonfort versteht die Ironie der Gefangenen nicht, er hält das Manifest für eine hervorragende Idee und lobt es als ein gutes Zeichen für den Fortgang der ideologischen Umschulung. Eric unterschreibt, obwohl ich ihn abhalten will. Er lacht und sagt, dies würde doch kein Franzose ernst nehmen. Er wird sich wundern. Ich stimme als Einziger dagegen, und das wird auch auf dem Manifest vermerkt. So diene ich - ungewollt - als Alibi für eine scheinbar demokratische Abstimmung.
    Freiheitsliste
    Bonforts Plan, wie er die Gefangenen zu Gehorsam und - wie er glaubt - neuem Bewusstsein erziehen kann, indem er mit der Freiheitsliste wie mit einem Paradies winkt, ist raffiniert ausgedacht. Tatsächlich soll schon eine Gruppe freigekommen sein, wie einige der alten Gefangenen berichten. Doch ein fester Zeitpunkt wird nicht genannt, selbst wenn unter den Gefangenen immer wieder besondere Daten gehandelt werden.
    Wir hoffen jetzt auf den 1. Mai, Tag der Arbeit, oder einige Wochen später auf Spitzbärtchens Geburtstag - und seine Politik der Milde.
    Bonfort spielt mit den Gefangenen, und wenn jemand fragen sollte, ob wir körperlich misshandelt worden sind, wird jeder ehrlicherweise nein antworten müssen, aber das war auch nicht notwendig. Unsere ganze Situation war eine Folter. Bonfort hat nur knapp zwei Dutzend Vietnamesen unter sich, die uns bewachen, und das Lager hat weder Zaun noch Wachposten. Mitten im Dschungel gelegen, mehrere Wochenmärsche von
    jeder Grenze entfernt, würde keiner weit kommen. Also bleibt die Hoffnung auf die Liste. Anfang April hat Bonfort wissen lassen, ein Mai-Termin sei denkbar.
    Je näher aber das Datum rückt, desto unsolidarischer wird das Verhalten der Gefangenen. Wenn sie den Eindruck haben, einer wäre zu häufig zum Helden des Tages gewählt worden, stehe also zu weit oben auf der Liste, dann wird er ein paar Mal bei der Selbstkritik abgestraft. Und mancher schwärzt selbst seinen besten Freund an, nur um seine eigenen Chancen zu wahren. Zwar bin ich bisher wegen meiner ehemaligen Position und meines Alters geachtet worden, aber nie wurde ich zum Helden des Tages gewählt - allerdings auch nie zum Scheißkerl. Doch beim Wettlauf um die Gunst Bonforts stellte Bidou tatsächlich den Antrag, mich zum Scheißkerl zu ernennen. Ich kam dann zwar noch einmal davon. Aber meine konsequente Haltung stört.
    Bonfort betont immer wieder, die Befreiung müsse ein jeder für sich verdienen, sei Belohnung für politische Reifung und treffe nur jene Männer, die sich fähig zeigten, sich auf dem Feld des Friedens zu schlagen.
    Die Sache läuft wie eine Farce ab. Eines Abends kommt Bonfort mit zwei vietnamesischen Helfern, die Akten tragen, und erklärt, es sei eine vorläufige Liste erarbeitet worden, und die werde in den kommenden Tagen der Versammlung zur Überprüfung vorgelegt. Es könnten noch neue Gefangene auf die Liste gewählt, andere aber auch gestrichen werden. Freigelassen werde nur, wer den anstrengenden Weg in die Freiheit auch unbeschadet überstehen wird, Kranke oder gar auf Tragen mitzuführende Sterbende würden zur Last und auch ein schlechtes Bild abgeben. Als der Tag gekommen ist, wählt die Versammlung erstaunlicherweise mich auf die Freiheitsliste, weil ich dort nicht aufgeführt bin. Bonfort verzieht keine Miene. So geht es viele Abende lang, Hoffnung überkommt auch diejenigen, die wissen, dass sie nie auf dieser Liste stehen
    werden. Als sie abgeschlossen ist, auch Eric gehört dazu, zieht sich Bonfort zurück und lässt sich mehrere Tage nicht sehen, bis er sich eines Abends wieder zeigt und erklärt, die Liste sei zu lang, wir müssten selber diejenigen aussuchen, die herausfallen sollen.
    Es kommt jedoch ganz anders.
    Zu den Gefangenen gehörten auch zwei Deutsche, die sich zur Fremdenlegion gemeldet und damit eine neue Identität erhalten hatten, wohl um ihrer SS-Vergangenheit zu entfliehen. Sie lebten in einer Hütte für sich, wurden

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