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Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Titel: Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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Veranda. Als er sich beruhigt hatte und Amadee immer noch schweigend auf dem Sofa ; sitzen sah, kehrte er wieder zu ihr zurück.
    »Gehen Sie wieder schlafen. Ich lese das eben noch zu Ende.«
    Sie ließ ihren warmen, süßlichen Duft zurück.
    Um weiterzulesen, nahm Jacques die Papiere aus den Plastikhüllen. Es waren eng beschriebene Deckel und unbedruckte Innenseiten von Büchern, die Gilles sich offenbar im Lager zusammengesucht hatte, weil es kein Papier mehr gab. Jacques fiel unter den Buchdeckeln einer auf, der wohl einst zu einer Bibel gehört hatte. Die Textseiten werden alle aufgeraucht worden sein, dachte er und lächelte unwillkürlich. Um Platz zu sparen, wurde die Schrift immer kleiner, der Zeilenabstand immer geringer. Jedes Eckchen Papier hatte Gilles Maurel ausgenutzt und zuletzt nur noch Stichworte notiert.
    »April 54. Eric leidet seit zwei Wochen an Ruhr. Jetzt hat es auch ihn erwischt. Hong Grosjean ist gestorben. Eine Gruppe von vierzig neuen Gefangenen ist im Januar zu uns gestoßen: französische Soldaten, Fremdenlegionäre, Senegalesen, Marokkaner und Algerier in französischer Uniform. Trotz der bedrohlichen Situation, in der wir uns alle befinden, bilden die jeweiligen Nationalitäten eigene Gruppen, es gibt kein Zusammengehörigkeitsgefühl oder gar eine Ablehnungsfront gegenüber Bonfort und den Viets.
    Bonfort macht verstärkt Druck auf mich. Die französische Garnison in Dien Bien Phu, im Norden des Landes, gar nicht so weit weg von hier, weigert sich aufzugeben, und es scheint auf eine alles entscheidende Schlacht wie in Verdun oder Stalingrad hinauszulaufen. Deshalb soll ich die Franzosen per Rundfunk aufrufen zu desertieren.
    Ich weigere mich.
    Bonfort meint, er habe genügend Druckmittel, um mich weich zu kriegen. Er beginnt, sie anzuwenden. Jeden Tag lässt er mich morgens vor dem Frühstück antreten, stellt seine Forderung, ich lehne ab, eine Woche lang. Dann verkündet er abends beim politischen Unterricht, die Politik »der Milde« werde ausgesetzt, weil ich den Kolonialkrieg im Lager weiterführen würde. Meine Essensrationen werden gekürzt. Einige meiner Mitgefangenen bieten an, ihrerseits den Aufruf auf Tonband zu sprechen. Bonfort zieht sich drei Tage zurück, nimmt dann das Angebot an, betont jedoch, dass ich, als Zeichen der Einsicht, auch ein paar Sätze sagen müsse.
    Ich weigere mich.
    Wenn ich mich in Bonfort versetze, dann verstehe ich sein Drängen. Als Franzose muss er seinen vietnamesischen Vorgesetzten beweisen, dass er bessere Resultate erzielt als ein vietnamesischer Lagerchef. Zwei Wochen lang sitzen wir
    abends mit ihm zusammen, und die Gefangenen erarbeiten Parolen, die sie auf Tonband sprechen wollen, damit sie über Lautsprecher im Becken von Dien Bien Phu Tausende von französischen Soldaten überzeugen, die zwar eingeschlossen sind, aber nicht zu besiegen. Psychologische Kriegsführung. An der ich mich nicht beteiligen werde, und koste es mein Leben, das mir schon einmal geschenkt wurde.
    Bonforts Argument: Wir könnten mit unserem Aufruf Blutvergießen verhindern und viele Leben auf beiden Seiten retten. Denn wie lange es auch dauere, der Vietminh werde sich vom kolonialen Joch befreien. Schließlich erscheint hier mitten im Dschungel eine mit Mikrofonen und schweren Tongeräten ausgerüstete Truppe, und drei Tage lang zeichnen die Techniker einzelne Aufrufe auf, zum Abschluss singen alle - fast alle, denn ich mache wie üblich nicht mit - auf Vietnamesisch das Loblied auf Ho Chi Minh und anschließend die Internationale auf Französisch.
    Am vierten Tag werde ich morgens von zwei Wächtern abgeholt, was ungewöhnlich ist, und zu Bonfort gebracht. Die Wächter braucht er wohl, um der Propagandatruppe zu imponieren. Mit ungewöhnlich strenger Stimme fordert er mich auf, meinen Widerstand aufzugeben.
    Ich weigere mich.
    Er befiehlt mir, in der Sonne stehen zu bleiben. Ich rühre mich nicht, breche eine halbe Stunde später bewusstlos zusammen, keiner darf mich anrühren. Nach einer Weile wache ich auf. Bonfort kommt, spricht schnell und laut. Falls ich auf meiner vom Imperialismus geprägten Haltung beharrte, würde er Eric auf einen sehr anstrengenden Arbeitseinsatz schicken, sagt er.
    Mein Sohn ist noch schwach. Aber er wird verstehen, dass ich nicht so unwürdig sein kann, auf eine solche Erpressung hin umzufallen.
    Ich weigere mich.
    Am nächsten Morgen muss Eric unter der Bewachung von zwei Viets mit zwei weiteren Gefangenen Reis holen gehen. Ein

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