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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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neben einem Toten lagen. Dann sah er des Liegenden Blick.
    Ruhig, undurchdringlich und klar waren Bärlachs Augen auf ihn gerichtet. Tschanz legte das Messer auf den Schreibtisch.

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    »Morgen müssen Sie nach Grindelwald, Sie sind krank. Oder wollen Sie lieber doch nicht gehen? Es ist vielleicht nicht das richtige, die Höhe. Es ist nun dort Winter.«
    »Doch, ich gehe.«
    »Dann müssen Sie noch etwas schlafen. Soll ich bei Ihnen wachen?«
    »Nein, geh nur, Tschanz«, sagte der Kommis sär.
    »Gute Nacht«, sagte Tschanz und ging langsam hinaus. Der Alte antwortete nicht mehr, er schien schon zu schlafen. Tschanz öffnete die Haustüre, trat hinaus, schloß sie wieder. Langsam ging er die wenigen Schritte bis zur Straße, schloß auch die Gartentüre, die offen war. Dann kehrte er sich gegen das Haus zurück. Es war immer noch finstere Nacht. Alle Dinge waren verloren in dieser Dunkelheit, auch die Häuser nebenan. Nur weit oben brannte eine Straßenlampe, ein verlorener Stern in einer düsteren Finsternis, voll von Trau-rigkeit, voll vom Rauschen des Flusses. Tschanz stand da, und plötzlich stieß er einen leisen Fluch aus. Sein Fuß stieß die Gartentüre wieder auf, entschlossen schritt er über den Gartenweg bis zur Haustüre, den Weg, den er gegangen, noch ein mal zurückgehend. Er ergriff die Falle und drückte sie nieder. Aber die Haustüre war jetzt verschlossen.
    Bärlach erhob sich um sechs, ohne geschlafen 119
    zu haben. Es war Sonntag. Der Alte wusch sich, legte auch andere Kleider an- Dann telefonierte er einem Taxi, essen wollte er im Speisewagen. Er nahm den warmen Wintermantel und verließ die Wohnung, trat in den grauen Morgen hinaus, doch trug er keinen Koffer bei sich. Der Himmel war klar. Ein verbummelter Student wankte vorbei, nach Bier stinkend, grüßte. »Der Blaser«, dachte Bärlach, »schon zum zweiten Male durchs
    Physikum gefallen, der arme Kerl. Da fängt man an zu saufen.« Das Taxi fuhr heran, hielt. Es war ein großer amerikanischer Wagen. Der Chauffeur hatte den Kragen hochgeschlagen, Bärlach sah kaum die Augen. Der Chauffeur Öffnete.
    »Bahnhof«, sagte Bärlach und stieg ein. Der Wagen setzte sich in Bewegung.
    »Nun«, sagte eine Stimme neben ihm, »wie geht es dir? Hast du gut geschlafen?«
    Bärlach wandte den Kopf. In der ändern Ecke saß Gastmann. Er war in einem hellen Regenmantel und hielt die Arme verschränkt. Die Hände steckten in braunen Lederhandschuhen. So saß er da wie ein alter, spöttischer Bauer. Vorne wandte der Chauffeur sein Gesicht nach hinten, grinste.
    Der Kragen war jetzt nicht mehr hochgeschlagen, es war einer der Diener. Bärlach begriff, daß er in eine Falle gegangen war.
    »Was willst du wieder von mir?« fragte der Alte.
    »Du spürst mir immer noch nach. Du warst 120
    beim Schriftsteller«, sagte der in der Ecke, und seine Stimme klang drohend.
    »Das ist mein Beruf.«
    Der andere ließ kein Auge von ihm. »Es ist noch jeder umgekommen, der sich mit mir beschäftigt hat, Bärlach.«
    Der vorne fuhr wie der Teufel.
    »Ich lebe noch. Und ich habe mich immer mit dir beschäftigt«, antwortete der Kommissär gelassen.
    Die beiden schwiegen.
    Der Chauffeur fuhr in rasender Geschwindigkeit gegen den Viktoriaplatz. Ein alter Mann humpelte über die Straße und konnte sich nur mit Mühe retten.
    »Gebt doch acht«, sagte Bärlach ärgerlich.
    »Fahr schneller«, rief Gastmann schneidend und musterte den Alten spöttisch. »Ich liebe die Schnelligkeit der Maschinen.«
    Der Kommissär fröstelte. Er liebte die luftleeren Räume nicht. Sie rasten über die Brücke, an einem Tram vorbei und näherten sich über das silberne Band des Flusses tief unter ihnen pfeilschnell der Stadt, die sich ihnen willig öffnete. Die Gassen waren noch öde und verlassen, der Himmel über der Stadt gläsern.
    »Ich rate dir, das Spiel aufzugeben. Es wäre Zeit, deine Niederlage einzusehen«, sagte Gastmann und stopfte seine Pfeife.

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    Der Alte sah nach den dunklen Wölbungen der Lauben, an denen sie vorüberglitten, nach den schattenhaften Gestalten zweier Polizisten, die vor der Buchhandlung Lang standen.
    »Geißbühler und Zumsteg«, dachte er und dann:
    »Den Fontäne sollte ich doch endlich einmal zahlen.«
    »Unser Spiel«, antwortete er endlich, »können wir nicht aufgeben. Du bist in jener Nacht in der Türkei schuldig geworden, weil du die Wette geboten hast, Gastmann, und ich, weil ich sie angenommen habe.«
    Sie fuhren am Bundeshaus vorbei.
    »Du glaubst

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