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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Schlange barg, das Messer, das sein Herz suchte. Der Alte atmete kaum. Er stand da und umklammerte die Waffe, kaum daß er fühlte, wie kalter Schweiß über seinen Nacken floß. Er dachte an nichts mehr, nicht mehr an Gastmann, nicht mehr an Lutz, auch nicht mehr an die Krankheit, die an seinem Leibe fraß, Stunde um Stunde, im Begriff, das Leben zu zerstören, das er nun verteidigte, voll Gier, zu leben und nur zu leben. Er war nur noch ein Auge, das die Nacht durchforschte, nur noch ein Ohr, das den kleinsten Laut überprüfte, nur noch eine Hand, die sich um das kühle Metall der Waffe schloß. Doch nahm er endlich die Gegenwart des Mörders anders wahr, als er geglaubt hatte; er spürte an seiner Wange 114
    eine ungewisse Kälte, eine geringe Veränderung der Luft. Lange konnte er sich das nicht erklären, bis er erriet, daß sich die Türe, die vom Schlafzimmer ins Eßzimmer führte, geöffnet hatte. Der Fremde hatte seine Überlegung zum zweiten Male durchkreuzt, er war auf einem Umweg ins Schlafzimmer gedrungen, unsichtbar, unhörbar, unaufhaltsam, in der Hand das Schlangenmesser, Bärlach wußte nun, daß er den Kampf beginnen, daß er zuerst handeln mußte, er, der alte, todkranke Mann, den Kampf um ein Leben, das noch ein Jahr dauern konnte, wenn alles gutging, wenn Hungertobel gut und richtig schnitt. Bärlach richtete den Revolver gegen das Fenster, das nach der Aare sah. Dann schoß er, dann noch einmal, dreimal im ganzen, schnell und sicher durch die zersplitternde Scheibe hinaus in den Fluß, dann ließ er sich nieder. Über ihm zischte es, es war das Messer, das nun federnd in der Wand steckte. Aber schon hatte der Alte erreicht, was er wollte: im ändern Fenster wurde es Licht, es waren die Leute des Nebenhauses, die sich nun aus ihren geöffneten Fenstern bückten; zu Tode erschrocken und verwirrt starrten sie in die Nacht. Bärlach richtete sich auf. Das Licht des Nebenhauses erleuchtete das Schlafzimmer, undeutlich sah er noch in der Eßzimmertüre den Schatten einer Gestalt; dann schlug die Haustüre zu, hernach durch den Luftzug die Türe zur Bibliothek, dann die zum Eß-
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    zimmer, ein Schlag nach dem andern, das Fenster klappte, darauf war es still. Die Leute vom Nebenhaus starrten immer noch in die Nacht. Der Alte rührte sich nicht an seiner Wand, in der Hand immer noch die Waffe. Er stand da, unbeweglich, als spüre er die Zeit nicht mehr. Die Leute zogen sich zurück, das Licht erlosch. Bärlach stand an der Wand, wieder in der Dunkelheit, eins mit ihr, allein im Haus.

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    Nach einer halben Stunde ging er in den Korridor und suchte seine Taschenlamp e. Er telefonierte Tschanz, er solle kommen. Dann vertauschte er die zerstörte Sicherung mit einer neuen, das Licht brannte wieder. Bärlach setzte sich in seinen Lehnstuhl, horchte in die Nacht. Ein Wagen fuhr draußen vor, bremste jäh. Wieder ging die Haustüre, wieder hörte er einen Schritt. Tschanz betrat den Raum.
    »Man versuchte, mich zu töten«, sagte der Kommissär. Tschanz war bleich. Er trug keinen Hut, die Haare hingen ihm wirr in die Stirne, und unter dem Wintermantel kam das Pyjama hervor. Sie gingen zusammen ins Schlafzimmer. Tschanz zog das Messer aus der Wand, mühselig, denn es hatte sich tief in das Holz eingegraben.
    »Mit dem?« fragte er.
    »Mit dem, Tschanz.«
    Der junge Polizist besah sich die zersplitterte Scheibe. »Sie haben ins Fenster hineingeschossen, Kommissär?« fragte er verwundert.
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    Bärlach erzählte ihm alles. »Das Beste, was Sie tun konnten«, brummte der andere.
    Sie gingen in den Korridor, und Tschanz hob die Glühbirne vom Boden.
    »Schlau«, meinte er, nicht ohne Bewunderung, und legte sie wieder weg. Dann gingen sie in die Bibliothek zurück. Der Alte streckte sich auf den Diwan, zog die Decke über sich, lag da, hilflos, plötzlich uralt und wie zerfallen. Tschanz hielt immer noch das Schlangenmesser in der Hand. Er fragte:
    »Konnten Sie denn den Einbrecher nicht erkennen?«
    »Nein. Er war vorsichtig und zog sich schnell zurück. Ich konnte nur einmal sehen, daß er braune Lederhandschuhe trug.«
    »Das ist wenig.«
    »Das ist nichts. Aber wenn ich ihn auch nicht sah, kaum seinen Atem hörte, ich weiß, wer es gewesen ist. Ich weiß es; ich weiß es.«
    Das alles sagte der Alte fast unhörbar. Tschanz wog in seiner Hand das Messer, blickte auf die graue, liegende Gestalt, auf diesen alten, müden Mann, auf diese Hände, die neben dem zerbrech-lichen Leib wie verwelkte Blumen

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