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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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noch
    einmal mißtrauisch zum Kranken wandte, war der Kommissär eingeschlafen.

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    Das Alibi
    Am andern Morgen fand Hungertobel den Alten um halb acht nach dem Morgenessen beim
    Studium des Stadtanzeigers, etwas verwundert; denn der Arzt war früher als sonst gekommen, und Bärlach pflegte um diese Zeit wieder zu schlafen oder doch wenigstens, die Hä nde hinter dem Kopf, vor sich hin zu dösen. Auch war es dem Arzt, als sei der Kommissär frischer als sonst, und aus seinen Augenschlitzen schien die alte Vitalität zu leuchten.
    Wie es denn gehe, begrüßte ihn Hungertobel.
    Er wittere Morgenluft, antwortete dieser.
    »Ich bin heute früher als sonst bei dir, und ich komme auch nicht eigentlich dienstlich«, sagte Hungertobel und trat zum Bett. »Ich bringe nur schnell einen Stoß ärztlicher Zeitungen: die Schweizerische medizinische Wochenschrift, eine französische, und vor allem, da du auch Englisch verstehst, verschie dene Nummern der >Lancet<, der berühmten englischen Zeitschrift für Medizin.«
    »Das ist lieb von dir, anzunehmen, ich interessiere mich für dergleichen«, antwortete Bärlach, 162
    ohne vom Anzeiger aufzublicken, »aber ich weiß nicht, ob es gerade die geeignete Literatur für mich ist. Du weißt, ich bin kein Freund der Medizin.«
    Hungertobel lachte: »Das sagt einer, dem wir geholfen haben!«
    Eben, sagte Bärlach, das mache das Übel nicht besser.
    Was er denn im Anzeiger lese? fragte Hungertobel neugierig.
    »Briefmarkenangebote«, antwortete der Alte.
    Der Arzt schüttelte den Kopf: »Trotzdem wirst du dir die Zeitschriften ansehen, auch wenn du um uns Ärzte für gewöhnlich einen Bogen machst. Es liegt mir daran, dir zu beweisen, daß unser Ge -
    spräch gestern eine Torheit war, Hans. Du bist Kriminalist, und ich traue dir zu, daß du aus hei-terem Himmel unseren verdächtigen Modearzt samt seinen Hormonen verhaftest. Ich begreife nicht, wie ich es vergessen konnte. Der Beweis, daß Emmenberger in Santiago war, ist leicht zu erbringen. Er hat von dort in verschiedenen medizinischen Fachzeitschriften Artikel
    veröffentlicht, auch in englischen und
    amerikanischen, hauptsächlich über Fragen der inneren Sekretion, und sich damit einen Namen gemacht; schon als Student zeichnete er sich literarisch aus und schrieb eine ebenso wit zige wie glänzende Feder. Du siehst, er war ein tüchtiger und gründlicher Wissenschaftler. Um so
    bedauernswerter ist seine jetzige Wendung ins 163
    Modische, wenn ich so sagen darf; denn was er gegenwärtig treibt, ist nun doch zu billig, Schul-medizin hin oder her. Der letzte Artikel erschien in der >Lancet< noch im Januar fünfundvierzig, einige Monate bevor er in die Schweiz zurückkehrte. Das ist gewiß ein Beweis, daß unser Verdacht eine rechte Eselei war. Ich schwöre dir, mich nie mehr als Kriminalist zu versuchen. Der Mann auf dem Bild kann nicht Emmenberger sein, oder die Fotografie ist gefälscht.«
    »Das wäre ein Alibi«, sagte Bärlach und faltete den Anzeiger zusammen. »Du kannst mir die Zeitschriften dalassen.«
    Als Hungertobel um zehn zur ordentlichen Arzt-visite zurückkam, lag der Alte, eifrig in den Zeitschriften lesend, in seinem Bett.
    Ihn scheine auf einmal die Medizin doch zu interessieren, sagte der Arzt verwundert.
    Hungertobel habe recht, meinte der Kommissär, die Artikel kämen aus Chile.
    Hungertobel freute sich und war erleichtert.
    »Siehst du! Und wir sahen Emmenberger schon als Massenmörder.«
    »Man hat heute in dieser Kunst die frappantesten Fortschritte gemacht«, antwortete Bärlach trocken.
    »Die Zeit, mein Freund, die Zeit. Die englischen Zeitschriften brauche ich nicht, aber die schweizerischen Nummern kannst du mir lassen.«
    »Emmenbergers Artikel in der >Lancet< sind doch
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    viel bedeutender, Hans!« widersprach
    Hungertobel, der schon überzeugt war, dem Freund gehe es um die Medizin. »Die mußt du lesen.«
    In der medizinischen Wochenschrift schreibe Emmenberger aber deutsch, entgegnete Bärlach etwas spöttisch.
    »Und?« fragte der Arzt, der nichts begriff.
    »Ich meine, mich beschäftigt sein Stil, Samuel, der Stil eines Arztes, der einst eine gewandte Feder führte und nun reichlich unbeholfen schreibt.«
    Was denn dabei sei, fragte Hungertobel noch immer ahnungslos, mit der Tabelle über dem Bett beschäftigt.
    »So leicht ist ein Alibi nun doch nicht zu erbringen«, sagte der Kommissär.
    »Was willst du damit sagen?« rief der Arzt be-stürzt aus. »Du bist den Verdacht immer noch nicht

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