Der Richter und sein Henker - Der Verdacht
unschicklich, bei so bösartigen Ansichten nicht zu protestieren, doch der Alte war schließlich krank und Gott sei Dank pensioniert. Er müsse nun leider gehen, sagte er, den Ärger hinunterschlukkend, er habe um halb zwölf noch eine Sitzung mit der Armendirektion.
Die Armendirektion habe auch mehr mit der Polizei zu tun als mit dem Finanzdepartement, da stimme etwas nicht, bemerkte darauf der Kommis -
sär, und Lutz mußte wieder das Schlimmste be-fürchten, doch zu seiner Erleichterung zielte Bärlach auf etwas anderes: »Sie können mir einen Gefallen tun, jetzt, da ich krank bin und zu nichts mehr zu gebrauchen.«
»Aber gern«, versprach Lutz.
»Sehen Sie, Doktor, es handelt sich um eine Auskunft. Ich bin für mich privat etwas neugierig und vergnüge mich in meinem Bett mit kriminali-stischen Kombinationen. Auch eine alte Katze kann das Mausen nicht lassen. Da finde ich in einem >Life< das Bild eines Lagerarztes der SS
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von Stutthof, namens Nehle. Fragen Sie doch einmal nach, ob der noch in einem Gefängnis lebe, oder was sonst aus ihm geworden sei. Wir haben doch den internationalen Dienst für diese Fälle, der uns nichts kostet, seit die SS zur Verbrecherorga-nisation erklärt worden ist.«
Lutz notierte sich alles.
Er werde nachfragen lassen, versprach er, verwundert über den Spleen des Alten. Dann verabschiedete er sich.
»Leben Sie wohl, und werden Sie gesund«, sagte er, indem er die Hand des Kommissärs schüttelte.
»Noch diesen Abend will ich Ihnen Bescheid geben lassen, dann können Sie nach Herzenslust kombinieren. Der Blatter ist auch noch da und will Sie grüßen. Ich warte draußen im Wagen.«
So kam denn der große, dicke Blatter herein, und Lutz verschwand.
»Grüß dich, Blatter«, sagte Bärlach zum Polizisten, der oft sein Chauffeur gewesen war, »das freut mich, dich zu sehen.«
Es freue ihn auch, sagte Blatter. »Sie fehlen uns, Herr Kommissär. Überall fehlen Sie uns.«
»Nun, Blatter, jetzt kommt der Röthlisberger an meinen Platz und wird ein anderes Lied singen, stelle ich mir vor«, antwortete der Alte.
»Schade«, sagte der Polizist, »ich will ja nichts gesagt haben, und der Röthlisberger ist sicher auch recht, wenn Sie nur wieder gesund werden!«
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Blatter kenne doch das Antiquariat in der Matte, das der Jude mit dem weißen Bart besitze, der Feitelbach? fragte Bärlach.
Blatter nickte: »Der mit den Briefmarken im Schaufenster, die immer die gleichen sind.«
»Dann geh doch diesen Nachmittag dort vorbei und sag dem Feitelbach, er soll mir 'Gullivers Reisen< ins Salem schicken. Es ist der letzte Dienst, den ich von dir verlange.«
»Das Buch mit den Zwergen und Riesen?« wunderte sich der Polizist.
Bärlach lachte: »Siehst du, Blatter, ich liebe eben Märchen!«
Irgend etwas in diesem Lachen kam dem Polizisten unheimlich vor; aber er wagte nicht zu fragen.
Die Hütte
Noch am selben Mittwoch abend ließ Lutz anläuten. Hungertobel saß gerade am Bett seines Freundes und hatte sich, da er nachher operieren mußte, eine Tasse Kaffee bringen lassen; er wollte die Gelegenheit ein wenig ausnützen, Bärlach im Spital »bei sich« zu haben. Nun klingelte das Telefon und unterbrach das Gespräch der beiden.
Bärlach meldete sich und lauschte gespannt.
Nach einer Weile sagte er: »Es ist gut, Favre, schicken Sie mir noch das Material zu«, und hängte auf. »Nehle ist tot«, sagte er,
»Gott sei Dank«, rief Hungertobel aus, »das müssen wir feiern«, und steckte sich eine »Little-Rose of Sumatra« in Brand. »Die Schwester wird wohl nicht gerade kommen.«
»Schon am Mittag war es ihr nicht recht«, stellte Bärlach fest. »Ich habe mich jedoch auf dich be-rufen, und sie sagte, das sehe dir ähnlich.«
Wann denn Nehle gestorben sei, fragte der Arzt.
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Fünfundvierzig, am zehnten August. Er habe sich in einem Hamburger Hotel das Leben genommen, mit Gift, wie man feststellte, antwortete der Kommissär.
»Siehst du«, nickte Hungertobel, »jetzt ist auch der Rest deines Verdachtes ins Wasser gefallen.«
Bärlach blinzelte nach den Rauchwolken, die Hungertobel genießerisch in Ringen und Spiral-nebeln aus seinem Munde entließ. Nichts sei so schwer zu ertränken wie ein Verdacht, weil nichts so leicht immer wieder auftauche, antwortete er endlich.
Der Kommissär sei unverbesserlich, lachte Hungertobel, der das Ganze als einen harmlosen Spaß ansah.
»Die erste Tugend des Kriminalisten«, entgegnete der Alte, und dann fragte er: »Samuel, bist du
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