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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Licht oben unter dem Dach Stroh. Eine schwarze, verbogene Leiter führte hinauf, an der noch Mist und Dreck vom vorigen Jahr klebten.
    Emmenberger holte draußen vom Brunnen Wasser, 176
    mit einer seltsamen Hast, als wüßte er, was nun geschehen sollte. Das ist natürlich unmöglich.
    Dann machten wir auf dem primitiven Herd Feuer.
    Ein Kessel war vorhanden. Und da ist denn, in dieser merkwürdigen Stimmung von Grauen und Müdigkeit, die uns gefangenhielt, einer von uns lebensgefährlich verunglückt. Ein dicker Luzerner, Sohn eines Wirts, der wie wir Medizin studierte —
    wieso, wußte niemand —, und der auch ein Jahr darauf das Studium aufgab, um doch die Wirtschaft zu übernehmen. Dieser etwas linkische Bursche also fiel, da die Leiter zusammenbrach, die er bestiegen hatte, um unter dem Dach das Stroh zu holen, so unglücklich mit der Kehle auf einen vorspringenden Balken in der Mauer, daß er stöhnend liegenblieb. Der Sturz war heftig. Wir glaubten zuerst, er habe etwas gebrochen, doch fing er nach kurzem an, nach Atem zu ringen. Wir hatten ihn hinaus auf eine Bank getragen, und nun lag er da in diesem fürchterlichen Licht der schon untergegangenen Sonne, das von übereinander-geschichteten Wolkenbänken sandigrot nieder-strahlte. Der Anblick, den der Verunglückte bot, war beängstigend. Der blutig geschürfte Hals war dick angeschwollen, den Kopf hielt er, während sich der Kehlkopf heftig und ruckweise bewegte, nach hinten. Entsetzt bemerkten wir, daß sein Gesicht immer dunkler wurde, fast schwarz in diesem infernalischen Glühen der Horizonte, und seine weit aufgerissenen Augen
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    glänzten wie zwei weiße, nasse Kiesel in seinem Antlitz. Wir bemühten uns verzweifelt mit feuchten Umschlägen. Vergeblich. Der Hals schwoll immer mehr nach innen, und er drohte zu ersticken. War der Verunglückte zuerst von einer fieberhaften Unruhe erfüllt gewesen, so fiel er jetzt zusehends in Apathie. Sein Atem ging pfeifend, reden konnte er nicht mehr. So viel wußten wir, daß er sich in äußerster Lebensgefahr befand; wir waren ratlos.
    Es fehlte uns jede Erfahrung und wohl auch die Kenntnis. Wir wußten zwar, daß es eine Notoperation gab, die Hilfe schaffen konnte, aber keiner wagte, daran zu denken. Nur Emmenberger begriff und zögerte auch nicht, zu handeln. Er untersuchte eingehend den Luzerner, desinfizierte im kochenden Wasser über dem Herd sein
    Taschenmesser und führte dann einen Schnitt aus, den wir als Coniotomie bezeichnen, der in Notfällen manchmal angewandt werden muß und bei dem man über dem Kehlkopf, zwischen dem Adamsapfel und dem Ringknorpel, mit quer
    gestelltem Messer einsticht, um Luft zu schaffen.
    Nicht dieser Eingriff war entsetzlich, Hans, der mußte nun wohl mit dem Taschenmesser gemacht werden; sondern das Grauenhafte war etwas anderes, es spielte sich gleichsam zwischen den beiden in ihren Gesichtern ab. Wohl war der Verunglückte schon fast betäubt vor Atemnot, aber noch waren seine Augen offen, ja weit aufgerissen, und so mußte er noch alles bemerken, was geschah, 178

    wenn auch vielleicht wie im Traum; und als Emmenberger diesen Schnitt ausführte, mein Gott, Hans, hatte er die Augen ebenfalls weit
    aufgerissen, sein Gesicht verzerrte sich; es war plötzlich, als breche aus diesen Augen etwas Teuflisches, eine Art übermäßiger Freude, zu quä-
    len, oder wie man dies sonst nennen soll, daß ich eine menschliche Angst empfand, wenn auch nur für eine Sekunde; denn schon war alles vorbei.
    Doch glaube ich, das hat niemand außer mir emp -
    funden; denn die ändern wagten nicht hinzusehen.
    Ich glaube auch, daß dies zum großen Teil Einbildung ist, was ich erlebte, daß die finstere Hütte und das unheimliche Licht an diesem Abend das Ihre zu dieser Täuschung beigetragen haben; merkwürdig am Vorfall ist nur, daß später der Luzerner, dem Emmenberger durch die Coniotomie das
    Leben rettete, niemals mehr mit diesem gesprochen hat, ja, ihm kaum dankte, was ihm von vielen übel-genommen wurde. Über Emmenberger hingegen hat man sich seitdem immer anerkennend geäußert, er galt als ganz großes Licht. Seine Laufbahn war seltsam. Wir hatten geglaubt, er werde Karriere machen, aber es lag ihm nichts daran. Er studierte viel und wild durcheinander. Die Physik, die Mathematik, nichts schien ihn .zu befriedigen; auch in philosophischen und theologischen Vor-lesungen wurde er gesehen. Das Examen war glänzend, doch übernahm er später nie eine Praxis, 179
    arbeitete in

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