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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Unglück und Ihren zerschlissenen Hosen, die Sie nun eben tragen mü ssen, von diesem Kleinkrieg mit nichtigen Dingen; es geht in dieser Welt in Gottes Namen um mehr als um die Verkehrspolizei.«
    Fortschigs dürre Jammergestalt kroch wieder auf den Sessel zurück, zog den langen gelben Hals ein und die Beinchen hoch. Die Baskenmütze fiel unter den Sessel, und das zitronengelbe Halstuch hing dem Männchen wehmütig auf die eingesun-kene Brust.
    »Kommissär«, sagte er weinerlich, »Sie sind streng zu mir, wie ein Moses oder Jesaias mit dem Volk Israel, und ich weiß, wie recht Sie haben; doch seit vier Tagen aß ich nichts Warmes, und nicht einmal zum Rauchen habe ich Geld.«
    Ob er denn nicht mehr bei Leibundguts esse, fragte der Alte stirnrunzelnd und plötzlich etwas verlegen.
    »Ich habe mit Frau Direktor Leibundgut einen Streit über Goethes Faust gehabt. Sie ist für den zweiten Teil und ich dagegen. Da hat sie mich nicht mehr eingeladen.« Der zweite Teil von Faust sei das Allerheiligste für seine Frau, hat mir der 228
    Direktor geschrieben, und er könne leider nichts mehr für mich tun«, antwortete der Schriftsteller.
    Der arme Teufel tat Bärlach leid. Er dachte, daß er doch zu streng mit ihm gewesen sei, und brummte endlich aus lauter Verlegenheit, was denn die Frau eines Schokoladedirektors mit Goethe zu tun habe. »Wen laden die Leibundguts denn jetzt ein?« wollte er schließlich wissen. »Wieder den Tennislehrer?«
    »Bötzinger«, antwortete Fortschig kleinlaut.
    »So hat wenigstens der für ein paar Monate je -
    den dritten Tag was Gutes«, meinte der Alte etwas ausgesöhnt. »Guter Musiker. Seine Kompositionen kann man sich allerdings nicht anhören, obgleich ich doch noch von Konstantinopel her an schreck-liche Geräusche gewöhnt bin. Aber das ist ein anderes Blatt. Nur, denke ich, wird der Bötzinger mit der Frau Direktor bald über Beethovens Neunte nicht einer Meinung sein. Und dann nimmt sie doch wieder den Tennislehrer. Die sind geistig am besten zu dominieren. Sie, Fortschig, will ich Grollbachs empfehlen von der Kleiderhandlung Grollbach-Kühne; die kochen gut, wenn auch ein wenig fettig. Ich glaube, das könnte besser halten als bei Leibundguts. Grollbach ist unliterarisch und interessiert sich weder für den Faust noch für den Goethe.«
    »Und die Frau?« erkundigte sich Fortschig ängstlich.
    229
    »Stockschwerhörig«, beruhigte ihn der Kommis -
    sär. »Ein Glücksfall für Sie, Fortschig, Und nehmen Sie die kleine braune Zigarre zu sich, die auf dem Tischchen liegt. Eine >LittIe-Rose<; Dr.
    Hungertobel hat sie extra dagelassen, Sie können ruhig in diesem Zimmer rauchen.«
    Fortschig steckte sich die »Little-Rose«
    umständlich in Brand.
    »Wollen Sie für zehn Tage nach Paris fahren?«
    fragte der Alte wie beiläufig.
    «Nach Paris?« schrie das Männchen und sprang vom Stuhl. »Bei meiner Seligkeit, falls ich eine besitze, nach Paris? Ich, der ich die französische Literatur wie kein zweiter verehre? Mit dem nächsten Zug!«
    Fortschig schnappte vor Überraschung und
    Freude nach Luft.
    »Fünfhundert Franken und ein Billett liegen für Sie beim Notar Butzin der Bundesgasse bereit«, sagte Bärlach ruhig. »Die Fahrt tut Ihnen gut. Paris ist eine schöne Stadt, die schönste Stadt, die ich kenne, von Konstantinopel abgesehen; und die Franzosen, ich weiß nicht, Fortschig, die Franzosen sind doch die besten und kultiviertesten Kerle. Da kommt nicht einmal so ein waschechter Türke dagegen auf.«
    »Nach Paris, nach Paris«, stammelte der arme Teufel.
    »Aber vorher brauche ich Sie in einer Affäre, die 230
    mir schwer auf dem Magen liegt«, sagte Bärlach und faßte das Männchen scharf ins Auge. »Es ist eine heillose Sache.«
    »Ein Verbrechen?« zitterte der andere.
    Es gelte eins aufzudecken, antwortete der Kommissär.
    Fortschig legte langsam die »Little-Rose« auf den Aschenbecher neben sich. »Ist es gefährlich, was ich unternehmen muß?« fragte er leise.
    »Nein«, sagte der Alte. »Es ist nicht gefährlich.
    Und damit auch jede Möglichkeit der Gefahr be-seitigt wird, schicke ich Sie nach Paris. Aber Sie müssen mir gehorchen. Wann erscheint die nächste Nummer des >Apfelschuß    »Ich weiß nicht. Wenn ich Geld habe.«
    »Wann können Sie eine Nummer verschicken?«
    fragte der Kommissär.
    »Sofort«, antwortete Fortschig.
    Ob er den »Apfelschuß« allein herstelle, wollte Bärlach wissen.
    »Allein. Mit der Schreibmaschine und einem alten

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