Der Richter und sein Henker - Der Verdacht
Vervielfältigungsapparat«, antwortete der Redaktor.
»In wieviel Exemplaren?«
»In fünfundvierzig. Es ist eben eine ganz kleine Zeitung«, kam es leise vom Stuhl her. »Es haben nie mehr als fünfzehn abonniert.«
Der Kommissär überlegte einen Augenblick.
»Die nächste Nummer des >Apfelschuß< soll in 231
einer Riesenauflage erscheinen. In dreihundert Exemplaren. Ich zahle Ihnen die ganze Auflage.
Ich verlange nichts von Ihnen, als daß Sie für diese Nummer einen bestimmten Artikel verfassen; was sonst noch darin steht, ist Ihre Sache. In diesem Artikel (er überreichte ihm den Bogen) wird das stehen, was ich hier niedergeschrieben habe; aber in Ihrer Sprache, Fortschig, in Ihrer besten möchte ich es haben, wie in Ihrer guten Zeit. Mehr als meine Angaben brauchen Sie nicht zu wissen, auch nicht, wer der Arzt ist, gegen den sich das Pamphlet richtet. Meine Behauptungen sollen Sie nicht irritieren; daß sie stimmen, dürfen Sie mir glauben, ich bürge dafür. Im Artikel, den Sie an bestimmte Spitäler senden werden, steht nur eine Unwahrheit, die nämlich, daß Sie, Fortschig, die Beweise zu Ihrer Behauptung in Händen hätten und auch den Namen des Arztes wüßten. Das ist der gefährliche Punkt. Darum müssen Sie nach Paris, wenn Sie den >Apfelschuß< auf die Post gebracht haben. Noch in der gleichen Nacht.«
»Ich werde schreiben, und ich werde fahren«, versicherte der Schriftsteller, den Bogen in der Hand, den ihm der Alte überreicht hatte.
Er war ein ganz anderer Mensch geworden und tanzte freudig von einem Bein auf das andere.
»Sie sprechen mit keinem Menschen von Ihrer Reise«, befahl Bärlach.
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»Mit keinem Menschen. Mit keinem einzigen Menschen!« beteuerte Fortschig.
Wieviel denn die Herausgabe der Nummer
koste, fragte der Alte.
»Vierhundert Franken«, forderte das Männchen mit glänzenden Augen, stolz darüber, endlich zu etwas Wohlstand zu kommen.
Der Kommissär nickte. »Sie können das Geld bei meinem guten Butz holen. Wenn Sie sich beeilen, gibt er es Ihnen schon heute, ich habe mit ihm telefoniert. — Sie werden fahren, wenn die Nummer heraus ist?« fragte er noch einmal, von einem unbesiegbaren Mißtrauen erfüllt.
»Sofort«, schwur der kleine Kerl und streckte drei Finger in die Höhe. »In der gleichen Nacht.
Nach Paris.«
Aber ruhig wurde der Alte nicht, als Fortschig gegangen war. Der Schriftsteller kam ihm unzuverlässiger vor denn je. Er überlegte sich, ob er Lutz bitten sollte, Fortschig überwachen zu lassen.
»Unsinn«, sagte er sich dann. »Die haben mich entlassen. Den Fall Emmenberger erledige ich selbst. Fortschig wird den Artikel gegen Emmenberger schreiben, und da er reist, muß ich mir keine grauen Haare wachsen lassen. Nicht einmal Hungertobel braucht davon etwas zu wissen. Der sollte jetzt kommen. Ich hätte eine >Little-Rose< nötig.«
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ZWEITER TEIL
Der Abgrund
So erreichte denn am Freitag beim Hereinbrechen der Nacht — es war der letzte Tag des Jahres —
der Kommissär, die Beine hochgebettet, im Wagen die Stadt Zürich. Hungertobel fuhr selbst, und dies, weil er sich um den Freund Sorgen machte, noch vorsichtiger als gewöhnlich. Die Stadt leuchtete gewaltig in ihren Lichtkaskaden auf. Hungertobel geriet in dichte Wagenschwärme, die von allen Seiten in diese Lichtfülle hineinglitten, sich in die Nebengassen verteilten und ihre Eingeweide öffneten, aus denen es nun herausquoll, Männer, Weiber, alle gierig auf diese Nacht, auf dieses Ende des Jahres, alle bereit, ein neues anzufangen und weiterzuleben. Der Alte saß unbeweglich hinten im Wagen, verloren in der Dunkelheit des kleinen gewölbten Raumes. Er bat Hungertobel, nicht den direktesten Weg zu nehmen. Er schaute lauernd in das unermüdliche Treiben. Die Stadt Zürich war ihm sonst nicht recht sympathisch, vierhunderttausend Schweizer auf einem Fleck fand er etwas übertrieben; die Bahnhofstraße, 237
durch die sie jetzt fuhren, haßte er, doch bei dieser geheimnisvollen Fahrt nach einem Ungewissen und drohenden Ziel — (bei dieser Fahrt nach der Realität, wie er zu Hungertobel sagte) —
faszinierte ihn die Stadt. Aus dem schwarzen, glanzlosen Himmel herab fing es an zu regnen, dann zu schneien, um endlich wieder zu regnen, silberne Fäden in den Lichtern. Menschen, Menschen! Immer neue Massen wälzten sich auf beiden Seiten der Straße dahin, hinter den Vorhängen von Schnee und Regen. Die Trams waren überfüllt, schemenhaft leuchteten hinter den Scheiben Ge sichter
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