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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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die Narbe an der rechten Braue nicht zu verdecken vermochte, Doktor Fritz Emmenberger. Des Alten Blick streifte den Arzt vorerst nur flüchtig; mehr beschäftigte er sich mit der Frau, die neben dem Manne stand, den er
    verdächtigte. Frauen machten ihn neugierig. Er
    betrachtete sie mißtrauisch. Als Berner waren ihm
    »studierte« Frauen unheimlich. Die Frau war schon, das mußte er zugeben, und als alter Jung-geselle hatte er eine doppelte Schwäche dafür; sie war eine Dame, das sah er sofort, so vornehm und so zurückhaltend stand sie in ihrem weißen Ärztemantel neben Emmenberger (der doch ein Massenmörder sein konnte), aber sie war ihm doch etwas zu nobel. Man könnte sie direkt auf einen Sockel stellen, dachte der Kommissär erbittert.
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    »Grüeßech«, sagte er, sein Hochdeutsch fallen-lassend., das er noch eben mit Schwester Kläri gesprochen hatte; es freue ihn, einen so berühmten Arzt kennenzulernen.
    »Sie sprechen ja Berndeutsch«, antwortete der Arzt, ebenfalls im Dialekt.
    Als Auslandsberner werde er seine
    Miuchmäuchterli wohl noch können, brummte der Alte.
    Nun, das habe er festgestellt, lachte Emmenberger. Die kunstgerechte Aussprache des Miuchmäuchterli sei immer noch das Kennwort der Berner.
    »Hungertobel hat recht«, dachte Bärlach.
    »Nehle ist der nicht. Ein Berliner hätte es nie zum Miuchmäuchterli gebracht.«
    Er schaute sich die Dame von neuem an.
    »Meine Assistentin, Doktor Marlok«, stellte der Arzt vor.
    »So«, sagte der Alte trocken, das freue ihn ebenfalls. Und dann fragte er unvermittelt, den Kopf ein wenig nach dem Arzt drehend: »Waren Sie nicht einmal in Deutschland, Doktor Emmenberger?«
    »Vor Jahren«, antwortete der Arzt, »da war ich einmal dort, doch meistens in Santiago in Chile«; nichts verriet indessen, was er denken mochte und ob ihn die Frage beunruhige.
    »In Chile, in Chile«, sagte der Alte und dann noch einmal: »In Chile, in Chile.«
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    Emmenberger steckte sich eine Zigarette in Brand und ging zum Schaltpult; nun lag der Raum im Halbdunkeln, notdürftig von einer kleinen blauen Lampe über dem Kommissär erhellt. Nur der Operationstisch war sichtbar, und die Gesichter der zwei vor ihm stehenden weißen Gestalten; auch erkannte der Alte, daß der Raum mit einem Fenster abgeschlossen wurde, durch welches von außen her einige ferne Lichter brachen. Der rote Punkt der Zigarette, die Emmenberger rauchte, bewegte sich auf und nieder.
    »In solchen Räumen raucht man sonst nicht«, fuhr es dem Kommissär durch den Kopf. »Ein wenig habe ich ihn doch schon aus der Fassung gebracht.«
    Wo denn Hungertobel geblieben sei, fragte der Arzt.
    Den habe er fortgeschickt, antwortete Bärlach.
    »Ich will, daß Sie mich ohne sein Dabeisein untersuchen.«
    Der Arzt schob seine Brille in die Höhe. »Ich glaube, daß wir zu Doktor Hungertobel doch wohl Vertrauen haben können.«
    »Gewiß«, antwortete Bärlach.
    »Sie sind krank«, fuhr Emmenberger fort, »die Operation war gefährlich und gelingt nicht immer.
    Hungertobel sagte mir, daß Sie sich darüber im klaren sind. Das ist gut. Wir Ärzte brauchen mu tige Patienten, denen wir die Wahrheit sagen
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    dürfen. Ich hätte die Anwesenheit Hungertobels bei der Untersuchung begrüßt, und es tut mir leid, daß Hungertobel Ihrem Wunsche nachgekommen ist.
    Wir müssen als Mediziner zusammenarbeiten, das ist eine Forderung der Wissenschaft.«
    Das könne er als Kollege gut verstehen, antwortete der Kommissär.
    Emmenberger wunderte sich. Was er denn damit meine, fragte er. Seines Wissens sei Herr Kramer kein Arzt.
    »Das ist einfach«, lachte der Alte. »Sie spüren Krankheiten auf und ich Kriegsverbrecher.«
    Emmenberger steckte sich eine neue Zigarette in Brand. »Für einen Privatmann wohl eine nicht ganz ungefährliche Beschäftigung«, sagte er gelas -
    sen.
    »Eben«, antwortete Bärlach, »und nun bin ich mitten im Suchen krank geworden und zu Ihnen gekommen. Das nenne ich Pech, hier auf dem Sonnenstein zu liegen; oder ist es vielleicht ein Glück?«
    Über den Krankheitsverlauf könne er noch keine Prognose stellen, antwortete Emmenberger.
    Hungertobel scheine nicht gefade zuversichtlich zu sein.
    »Sie haben mich ja auch noch nicht untersucht«, sagte der Alte. »Und dies ist auch der Grund, warum ich unseren braven Hungertobel nicht bei 249
    der Untersuchung haben wollte. Wir müssen unvoreingenommen sein, wenn wir in einem Fall weiterkommen wollen. Und weiterkommen wollen wir nun einmal, Sie und ich,

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