Der Richter und sein Henker - Der Verdacht
beteuern, daß ich einen ändern suche und nicht ihn. Denn durch eine meisterhafte Maßnahme hatte er sich gesichert und sich aus der Welt des schrankenlosen Verbrechens in die Schweiz gerettet, ohne seine Person mit hinüberzunehmen. Ein großes Geheimnis. Aber in der dunkelsten Kammer seines Herzens wird er ahnen, daß ich ihn suche und niemand anders, nur ihn, immer nur ihn. Und er wird Furcht haben, immer größere Furcht, je unwahrscheinlicher es für seinen Verstand sein wird, daß ich ihn suche, während ich, Doktor, in diesem Spital in meinem Bett liege mit meiner Krankheit, mit meiner Ohnmacht.« Er schwieg.
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Emmenberger sah ihn seltsam, fast mitleidig an, die Spritze in der ruhigen Hand.
»Ich zweifle an Ihrem Erfolg«, sagte er
gelassen. »Aber ich wünsche Ihnen Glück.«
»An seiner Furcht wird er krepieren«, antwortete der Alte unbeweglich.
Emmenberger legte die Spritze langsam auf den kleinen Tisch aus Glas und Metall, der neben dem Rollbett stand. Da lag sie nun, ein bösartiges, spit -
zes Ding. Emmenberger stand ein wenig vorn-
übergeneigt. »Meinen Sie?« sagte er endlich.
»Glauben Sie?« Seine schmalen Augen zogen sich hinter der Brille fast unmerklich zusammen. »Es ist erstaunlich, heutzutage noch einen so hoffnungs-frohen Optimisten zu sehen. Ihre Gedankengänge sind kühn; hoffen wir, daß die Realität Sie einmal nicht zu sehr düpiert. Es wäre traurig, wenn Sie zu entmutigenden Resultaten kamen.« Er sagte dies leise, etwas verwundert. Dann ging er langsam in die Dunkelheit des Raumes zurück, und es wurde wieder hell. Der Operationssaal lag in grellem Licht, Emmenberger blieb beim Schaltbrett stehen.
»Ich werde Sie später untersuchen, Herr Kramer«, sagte er lächelnd. »Ihre Krankheit ist ernst.
Das wissen Sie. Der Verdacht, sie könnte lebensgefährlich sein, ist nicht behoben. Ich habe nach unserem Gespräch leider diesen Eindruck. Offenheit verdient Offenheit. Die Untersuchung wird 254
nicht eben leicht sein, da sie einen gewissen Eingriff verlangt. Den wollen wir doch lieber nach Neujahr unternehmen, nicht wahr? Ein schönes Fest soll man nicht stören. Die Hauptsache ist, daß ich Sie vorerst in Obhut genommen habe.«
Bärlach antwortete nicht.
Emmenberger drückte die Zigarette aus.
»Teufel, Doktorin«, sagte er, »da habe ich ja im Operationszimmer geraucht. Herr Kramer ist ein aufregender Besuch. Sie sollten ihm und mir mehr auf die Finger klopfen.«
»Was ist denn das?« fragte der Alte, als ih m die Ärztin zwei rötliche Pillen gab.
»Nur ein Beruhigungsmittel«, sagte sie. Doch das Wasser, das sie ihm reichte, trank er mit noch größerem Unbehagen.
»Lauten Sie der Schwester«, befahl Emmen-
berger vom Schaltbrett her.
In der Türe erschien Schwester Kläri. Sie kam dem Kommissär wie ein gemütlicher Henker vor.
»Henker sind immer gemütlich«, dachte er.
»Welches Zimmer haben Sie denn unserem
Herrn Kramer bereitgemacht?« fragte der Arzt.
»Nummer zweiundsiebzig, Herr Doktor«, antwortete Schwester Kläri.
»Geben wir ihm das Zimmer fünfzehn«, sagte Emmenberger. »Da haben wir ihn besser unter Kontrolle.«
Die Müdigkeit kam wieder über den Kommis -
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sär, die er schon in Hungertobels Wagen gespürt hatte.
Als die Schwester den Alten in den Korridor zurückrollte, machte der Wagen eine scharfe Wendung. Da sah Bärlach, sich noch einmal aus seiner Müdigkeit emporreißend, Emmenbergers Gesicht.
Er sah, daß ihn der Arzt aufmerksam beob-
achtete, lächelnd und heiter.
Von einem Fieberfrost geschüttelt, fiel er zurück.
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Das Zimmer
Als er erwachte (es war immer noch Nacht, gegen halb elf; er mußte bei drei Stunden geschlafen haben, dachte er), befand er sich in einem Zimmer, das er verwundert und nicht ohne Besorgnis, aber doch mit einer gewissen Befriedigung betrachtete: da er Krankenzimmer haßte, gefiel es ihm, daß dieser Raum mehr einem Studio glich, einem technischen Raum, kalt und unpersönlich, soweit er dies im blauen Schein der Nachttischlampe erkennen konnte, die man zu seiner Linken hatte brennen lassen. Das Bett, in welchem er — nun im Nachthemd — gut zugedeckt lag, war immer noch der gleiche Rollwagen, auf dem man ihn her-eingebracht hatte; er erkannte ihn sofort, wenn er auch mit einigen Handgriffen verändert worden war. »Man ist hier praktisch«, sagte der Alte halb-laut in die Stille hinein. Er ließ den Lichtkegel der nach allen Seiten drehbaren Lampe durch den Raum gleiten; ein Vorhang tauchte
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