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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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denke ich. Es gibt nichts Schlimmeres, als sich von einem Verbrecher oder auch von einer Krankheit eine Vorstellung zu machen, bevor man den Verdächtigen in seiner Umgebung studiert und seine Gewohnheiten
    untersucht hat.«
    Da habe er recht, entgegnete der Arzt. Obgleich er als Mediziner nichts von Kriminalistik verstehe, leuchte ihm das ein. Nun, er hoffe, daß sich Herr Kramer auf dem Sonnenstein etwas von seinem Beruf werde erholen können.
    Dann zündete er sich eine dritte Zigarette an und meinte: »Ich denke, daß die Kriegsverbrecher Sie hier in Ruhe lassen.«
    Emmenbergers Antwort machte den Alten einen Augenblick mißtrauisch. »Wer verhört wen?«
    dachte er und schaute in Emmenbergers Gesicht, in dieses im Licht der einzigen Lampe maskenhafte Antlitz mit den blitzenden Brillengläsern, hinter denen die Augen übergroß und spöttisch schienen.
    »Lieber Doktor«, sagte er, »Sie werden auch nicht behaupten, in einem bestimmten Lande gebe es keinen Krebs.«
    »Das soll doch nicht etwa heißen, daß es in der Schweiz Kriegsverbrecher gebe!« lachte Emmenberger belustigt.
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    Der Alte sah den Arzt prüfend an. »Was in Deutschland geschah, geschieht in jedem Land, wenn gewisse Bedingungen eintreten. Diese Bedingungen mö gen verschieden sein. Kein Mensch, kein Volk ist eine Ausnahme. Von einem Juden, Doktor Emmenberger, den man in einem Konzentrationslager ohne Narkose operierte, hörte ich, es gebe nur einen Unterschied bei den Menschen: den zwischen den Peinigern und den Gepeinigten.
    Ich glaube jedoch, es gibt auch den Unterschied zwischen den Versuchten und den Verschonten. Da gehören denn wir Schweizer, Sie und ich, zu den Verschonten, was eine Gnade ist und kein Fehler, wie viele sagen; denn wir sollen ja auch beten:
    >Führe uns nicht in Versuchung<. So bin ich denn in die Schweiz gekommen, nicht um
    Kriegsverbrecher im allgemeinen zu suchen, sondern um einen Kriegsverbrecher aufzuspüren, von dem ich freilich nicht viel mehr denn ein undeutliches Bild kenne. Aber nun bin ich krank, Doktor Emmenberger, und die Jagd ist über Nacht zusam-mengebrochen, so daß der Verfolgte noch nicht einmal weiß, wie sehr ich ihm auf der Spur war.
    Das ist wirklich ein ganz jämmerliches Schauspiel.«
    Dann habe er freilich kaum eine Chance mehr, den Gesuchten zu finden, antwortete der Arzt gleichgültig und blies den Zigarettenrauch von sich, der über des Alten Haupt einen feinen, 251
    milchig aufleuchtenden Ring bildete. Bärlach sah, wie er der Ärztin mit den Augen ein Zeichen gab, die ihm nun eine Injektionsspritze reichte.
    Emmenberger verschwand für einen kurzen
    Augenblick im Dunkel des Saales, dann, als er wieder sichtbar wurde, hatte er eine Ampulle bei sich.
    »Ihre Chancen sind gering«, sagte er aufs neue, indem er die Spritze mit einer farblosen Flüssigkeit füllte.
    Aber der Kommissär widersprach.
    »Ich habe noch eine Waffe«, sagte er. »Nehmen wir Ihre Methode, Doktor. Sie empfangen mich, wie ich an diesem letzten trüben Tag des Jahres von Bern her durch Schneegestöber und Regen in Ihr Spital komme, zur ersten Untersuchung im Operationssaal. Warum tun Sie das? Es ist doch ungewöhnlich, daß ich gleich in einen Raum geschoben werde, vor dem ein Patient Grauen emp -
    finden muß. Sie tun dies, weil Sie mir Furcht einflößen wollen, denn mein Arzt können Sie nur sein, wenn Sie mich beherrschen, und ich bin ein eigenwilliger Kranker, das wird Ihnen Hungertobel gesagt haben. Da werden Sie sich eben zu dieser Demonstration entschlossen haben. Sie wollen mich beherrschen, um mich heilen zu können, und da ist eben die Furcht eines der Mittel, das Sie anwenden müssen. So ist es auch in meinem verteufelten Beruf. Unsere Methoden sind die 252
    gleichen. Ich kann nur noch mit der Furcht gegen den vorgehen, den ich suche.«
    Die Spritze in Emmenbergers Hand war gegen den Alten gerichtet. »Sie sind ein ausgekochter Psychologe«, lachte der Arzt. »Es ist wahr, ich wollte Ihnen mit diesem Saal ein wenig imponie-ren. Die Furcht ist ein notwendiges Mittel. Doch bevor ich zu meiner Kunst greife, wollen wir doch die Ihre zu Ende hören. Wie wollen Sie vorgehen?
    Ich bin gespannt. Der Verfolgte weiß nicht, daß Sie ihn verfolgen, wenigstens sagten Sie dies.«
    »Er ahnt es, ohne es genau zu wissen, und das ist gefährlicher für ihn«, antwortete Bärlach. »Er weiß, daß ich in der Schweiz bin und daß ich einen Kriegsverbrecher suche. Er wird seinen Verdacht beschwichtigen und sich immer wieder

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