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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Kommu -
    nistin, da müssen Sie doch Ihre Überzeugung haben!«
    »Ja, ich hatte meine Überzeugung«, sagte sie ruhig. »Ich war überzeugt, daß man dieses traurige Ding da aus Stein und Lehm, das sich um die Sonne dreht, unsere Erde, lieben müsse, daß 269
    es unsere Pflicht sei, dieser Menschheit im Namen der Vernunft zu helfen, aus der Armut und aus der Ausbeutung herauszukommen. Mein Glaube war keine Phrase. Und als der Postkartenmaler mit dem lächerlichen Schnurrbart und der kitschigen Stirnlocke die Macht übernahm, wie der fach-gemäße Ausdruck für das Verbrechen heißt, das er von nun an trieb, bin ich nach dem Lande ge-flüchtet, an das ich, wie alle Kommunisten, geglaubt habe, zu unser aller tugendhaftem Mütter-lein, nach der ehrwürdigen Sowjetunion. Oh, ich hatte meine Überzeugung und setzte sie der Welt entgegen. Ich war wie Sie entschlossen, Kommis -
    sär, gegen das Böse zu kämpfen bis an meines Lebens seliges Ende.«
    »Wir dürfen diesen Kampf nicht aufgeben«, entgegnete Bärlach leise, der schon wieder, vor Kälte schlotternd, in den Kissen lag.
    »Dann schauen Sie in den Spiegel über Ihnen, möchte ich bitten«, befahl sie.
    »Ich habe mich schon gesehen«, antwortete er, den Blick nach oben ängstlich vermeidend.
    Sie lachte. »Ein schönes Skelett, nicht wahr, grinst Ihnen da entgegen, den Kriminalkommissär der Stadt Bern darstellend! Unser Lehrsatz vom Kampf gegen das Böse, der nie, unter keinen Um-ständen und unter keinen Verhältnissen aufgegeben werden darf, stimmt im luftleeren Raum oder, was dasselbe ist, auf dem Schreibtisch; aber nicht 270
    auf dem Planeten, auf dem wir durch das Weltall rasen wie Hexen auf einem Besen. Mein Glaube war groß, so groß, daß ich nicht verzweifelte, als ich in das Elend der russischen Massen einging, in die Trostlosigkeit dieses gewaltigen Landes, das keine Gewalt, sondern nur noch die Freiheit des Geistes zu adeln vermöchte. Als die Russen mich in ihre Gefängnisse vergruben und mich, ohne Verhör und ohne Urteil, von einem Lager ins andere schoben, ohne daß ich wußte, wozu, zweifelte ich nicht, daß auch dies im großen Plan der Geschichte einen Sinn habe. Als der famose Pakt zustande kam, den Herr Stalin mit Herrn Hitler schloß, sah ich dessen Notwendigkeit ein, galt es doch, das große kommunistische Vaterland zu erhalten. Als ich jedoch eines Morgens nach wo -
    chenlanger Fahrt in irgendeinem Viehwagen von Sibirien her von russischen Soldaten tief im Winter des Jahres vierzig, mitten in einer Schar zerlumpter Gestalten, über eine jämmerliche Holzbrücke getrieben wurde, unter der sich träge ein schmutziger Fluß dahinschleppte, Eis und Holz treibend, und als uns am ändern Ufer die aus den Morgennebeln tauchenden schwarzen Gestalten der SS in Empfang nahmen, begriff ich den Verrat, der da getrieben wurde, nicht nur an uns
    gottverlassenen armen Teufeln, die nun Stutthof entgegenwankten, nein, auch an der Idee des Kommunismus selbst, der doch nur einen Sinn 271
    haben kann, wenn er eins ist mit der Idee der Nächstenliebe und der Menschlichkeit. Doch jetzt bin ich über die Brücke gegangen, Kommissär, für immer über diesen schwarzen, schwankenden Steg, unter dem der Bug dahinfließt (so heißt dieser Tartarus). Ich weiß nun, wie der Mensch
    beschaffen ist, so nämlich, daß man alles mit ihm machen kann, was sich je ein Machthaber oder je ein Emmenberger zu seinem Vergnügen und seinen Theorien zuliebe erdenkt; daß man aus dem Munde der Menschen jedes Geständnis zu erpressen vermag, denn der menschliche Wille ist begrenzt, die Zahl der Foltern Legion. Laßt jede Hoffnung fahren, die ihr mich durchschreitet! Ich ließ jede Hoffnung fahren. Es ist Unsinn, sich zu wehren und sich für eine bessere Welt einzusetzen. Der Mensch selbst wünscht seine Hölle herbei, bereitet sie in seinen Gedanken vor und leitet sie mit seinen Taten ein. Überall dasselbe, in Stutthof und hier im Sonnenstein, dieselbe schaurige Melodie, die aus dem Abgrund der menschlichen Seele in düsteren Akkorden aufsteigt. War das Lager bei Danzig die Holle der Juden, der Christen und Kommunisten, so ist dieses Spital hier, mitten im braven Zürich, die Hölle der Reichen.«
    »Was verstehen Sie darunter? Das sind selt same Worte, die Sie da gebrauchen«, fragte Bärlach, gebannt der Ärztin folgend, die ihn gleichermaßen faszinierte und erschreckte.
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    »Sie sind neugierig«, sagte sie, »und Schemen stolz darauf zu sein. Sie wagten sich in einen

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