Der Richter und sein Henker - Der Verdacht
Fuchsbau, aus dem es keinen Ausweg mehr gibt.
Zählen Sie nicht auf mich. Mir sind die Menschen gleichgültig, auch Emmenberger, der doch mein Geliebter ist.«
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Die Hölle der Reichen
»Warum«, begann sie wieder zu sprechen, »um dieser verlorenen Welt willen, Kommissär, haben Sie sich denn nicht mit den täglichen Diebstählen begnügt, und wozu denn mußten Sie in den Sonnenstein dringen, wo Sie nichts zu suchen haben?
Doch ein ausgedienter Polizeihund verlangt nach Höherem, denke ich.«
Die Ärztin lachte.
»Das Unrecht ist dort aufzusuchen, wo es zu finden ist«, antwortete der Alte. »Das Gesetz ist das Gesetz.«
»Ich sehe, Sie lieben die Mathematik«,entgegnete sie und steckte sich eine neue Zigarette in Brand.
Immer noch stand sie an seinem Bett, nicht zö-
gernd und behutsam, wie man sich dem Lager eines Kranken nähert, sondern so, wie man neben einem Verbrecher steht, der schon auf den Schrägen gebunden ist und dessen Tod man als richtig und wünschenswert erkannt hat, als eine sachliche Prozedur, die ein nutzloses Dasein auslöscht. »Das habe ich mir schon gleich gedacht, 274
daß Sie zu jener Sorte von Narren gehören, die auf die Mathematik schwören. Das Gesetz ist das Gesetz. X — X. Die ungeheuerlichste Phrase, die je in den ewig blutigen, ewig nächtlichen Himmel stieg, der über uns hängt«, lachte sie. »Wie wenn es eine Bestimmung über Menschen gäbe, die ohne Rücksicht auf das Maß der Macht gelten könnte, die ein Mensch besitzt! Das Gesetz ist nicht das Gesetz, sondern die Macht; dieser Spruch steht über den Tälern geschrieben, in denen wir zugrunde gehen. Nichts ist sich selber in dieser Welt, alles ist Lüge. Wenn wir Gesetz sagen, meinen wir Macht; sprechen wir das Wort Macht aus, denken wir an Reichtum, und kommt das Wort Reichtum über unsere Lippen, so hoffen wir, die Laster der Welt zu genießen. Das Gesetz ist das Laster, das Gesetz ist der Reichtum, das Gesetz sind die Kanonen, die Trusts, die Parteien; was wir auch sagen, nie ist es unlogisch, es sei denn der Satz, das Gesetz sei das Gesetz, der allein die Lüge ist. Die Mathematik lügt, die Vernunft, der Verstand, die Kunst, sie alle lügen. Was wollen Sie denn, Kommissär? Da werden wir, ohne gefragt zu werden, auf irgendeine brüchige Scholle gesetzt, wir wissen nicht, wozu; da stieren wir in ein Weltall hinein, ungeheuer an Leere und ungeheuer an Fülle, eine sinnlose Verschwendung, und da treiben wir den fernen Katarakten entgegen, die einmal kommen müssen — das einzige, was
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wir wissen. So leben wir, um zu sterben, so atmen und sprechen wir, so lieben wir, und so haben wir Kinder und Kindeskinder, um mit ihnen, die wir lieben und die wir aus unserem Fleische her-vorgebracht haben, in Aas verwandelt zu werden, um in die gleichgültigen, toten Elemente zu zerfallen, aus denen wir zusammengesetzt sind. Die Karten wurden gemischt, ausgespielt und zusammengeräumt; c'est ça. Und weil wir nichts anderes haben als diese treibende Scholle von Dreck und Eis, an die wir uns klammern, so wünschen wir, daß dieses unser einziges Leben — diese flüchtige Minute angesichts des Regenbogens, der sich über dem Gischt und dem Dampf des Abgrunds spannt
— ein glückliches sei, daß uns der Überfluß der Erde geschenkt werde, die kurze Zeit, da sie uns zu tragen vermag, sie, die einzige, wenn auch armselige Gnade, die uns verliehen wurde. Doch dies ist nicht so und wird nie so sein, und das Verbrechen, Kommissär, besteht nicht darin, daß es nicht so ist, daß es Armut und Elend gibt, sondern darin, daß es Arme und Reiche gibt, daß das Schiff, das uns alle hinunterreißt, mit dem wir alle versinken, noch Kabinen für die Mächtigen und Reichen neben den Massenquartieren der Elenden besitzt. Wir müssen alle sterben, sagt man, da spielt dies keine Rolle. Sterben sei Sterben. O diese possenhafte Mathematik! Eines ist das Sterben der Armen, ein anderes das Sterben
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der Reichen und der Mächtigen, und eine Welt zwischen ihnen, jene in der sich die blutige Tragi-komödie zwischen dem Schwachen und dem
Mächtigen abspielt. Wie der Arme gelebt hat, stirbt er auch, auf einem Sack im Keller, auf einer zerschlis senen Matratze, wenn's hoher geht, oder auf dem blutigen Feld der Ehre, wenn's hoch kommt; aber der Reiche stirbt anders. Er hat im Luxus gelebt und will nun im Luxus sterben, er ist kultiviert und klatscht beim Krepieren in die Hände: Beifall, meine Freunde, die
Theatervorstellung ist zu Ende!
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