Der Richter und sein Henker - Der Verdacht
Mörder es weiß. Zu spät! Die Versuchung dieses Daseins war zu groß und der Mensch zu klein für die Gnade, die darin besteht, zu leben und nicht vielmehr Nichts zu sein. Nun sind wir krank auf den Tod, vom Krebs unserer Taten zerfressen. Die Welt ist faul, Kommissär, sie verwest wie eine schlecht gelagerte Frucht. Was wollen wir noch! Die Erde ist nicht mehr als Paradies herstellbar, der infernalische Lavastrom, den wir in den
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lästerlichen Tagen unserer Siege, unseres Ruhms und unseres Reichtums heraufbeschworen haben und der nun unsere Nacht erhellt, läßt sich nicht mehr in die Schächte bannen, denen er entstiegen ist. Wir können nur noch in unseren Träumen zurückgewinnen, was wir verloren haben, in den leuchtenden Bildern der Sehnsucht, die wir durch das Morphium erlangen. So tue ich denn, Edith Marlok, ein vierunddreißigjähriges Weib, für die farblose Flüssigkeit, die ich mir unter die Haut spritze, die mir am Tag den Mut zum Hohn und in der Nacht meine Traume verleiht, die Verbrechen, die man von mir verlangt, damit ich in einem flüchtigen Wahn besitze, was nicht mehr da ist: diese Welt, wie ein Gott sie erschaffen hat. C'est ça. Emmenberger, Ihr Landsmann, dieser Berner, kennt die Menschen und wofür sie zu brauchen sind. Er setzt seine unbarmherzigen Hebel an, wo wir am schwächsten sind: am tödlichen Bewußtsein unserer ewigen Verlorenheit.
»Gehen Sie jetzt«, flüsterte er, »gehen Sie jetzt!«
Die Ärztin lachte. Dann richtete sie sich auf, schön, stolz, unnahbar.
»Sie wollen das Schlechte bekämpfen und
fürchten sich vor meinem C'est ça«, sagte sie, sich aufs neue schminkend und pudernd, wieder an die Türe gelehnt, über der sinnlos und einsam das alte Holzkreuz hing. »Sie schaudern schon vor
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einer geringen, tausendmal besudelten und entwürdigten Dienerin dieser Welt. Wie werden Sie erst ihn, den Höllenfürsten selbst, Emmenberger, bestehen?«
Und dann warf sie dem Alten eine Zeitung und ein braunes Kuvert auf das Bett.
»Lesen Sie die Post, mein Herr. Ich denke, Sie werden sich wundern, was Sie mit Ihrem guten Willen angerichtet haben!«
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Ritter, Tod und Teufel
Nachdem die Ärztin den Alten verlassen hatte, lag er lange unbeweglich. Sein Verdacht hatte sich be-stätigt, doch was ihm zur Zufriedenheit hatte ge-reichen sollen, flößte ihm Grauen ein. Er hatte richtig gerechnet, doch falsch gehandelt, wie er ahnte. Allzusehr fühlte er die Ohnmacht seines Leibes. Er hatte sechs Tage verloren, sechs fürchterliche Tage, die seinem Bewußtsein fehlten, Emmenberger wußte, wer ihm nachstellte, und hatte zugeschlagen.
Dann endlich, als Schwester Kläri mit Kaffee und Brötchen kam, ließ er sich aufrichten, trank und aß trotzig das Gebrachte, wenn auch miß-
trauisch, entschlossen, seine Schwäche zu besiegen und nun anzugreifen.
»Schwester Kläri«, sagte er, »ich komme von der Polizei, es ist vielleicht besser, daß wir deutlich miteinander reden.«
»Ich weiß, Kommissär Bärlach«, antwortete die Krankenschwester, drohend und gewaltig neben seinem Bett.
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»Sie wissen meinen Namen und sind demnach im Bilde«, fuhr Bärlach fort, stutzig geworden,
»dann wissen Sie wohl auch, weshalb ich hier bin?«
»Sie wollen unseren Chef verhaften«, sagte sie, auf den Alten niederblickend.
»Den Chef«, nickte der Kommissär. »Und Sie werden wissen, daß Ihr Chef im Konzentrationslager Stutthof in Deutschland viele Menschen ge-tötet hat?«
»Mein Chef hat sich bekehrt«, antwortete die Schwester Klari Glauber aus Biglen stolz. »Seine Sünden sind ihm vergeben.«
»Wieso?« fragte Bärlach verblüfft, das Ungeheuer an Biederkeit anstarrend, das an seinem Bette stand, die Hände über dem Bauch gefaltet, strahlend und überzeugt.
»Er hat meine Broschüre gelesen«, sagte sie.
»Den Sinn und den Zweck unseres Lebenswandels?«
»Eben.«
Das sei doch Unsinn, rief der Kranke ärgerlich, Emmenberger töte weiter.
»Vorher tötete er aus Haß, nun aus Liebe«, entgegnete die Schwester fröhlich. »Er tötet als Arzt, weil der Mensch im geheimen nach seinem Tod verlangt. Lesen Sie nur meine Broschüre. Der Mensch muß durch den Tod hindurch zu seiner höheren Möglichkeit.«
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»Emmenberger ist ein Verbrecher«, keuchte der Kommissär, ohnmächtig vor so viel Bigotterie,
»Die Emmenthaler sind noch immer die ver-
fluchtesten Sektierer gewesen«, dachte er verzweifelt.
»Der Sinn und der Zweck unseres Lebenswandels kann kein Verbrechen sein«,
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