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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Denkzettel, will mir scheinen«, antwortete der andere mit ebenso sachlicher Stimme. »Sogar die Schriftstellerei wird heute wieder etwas Gefährliches, und das tut ihr nur gut.«
    »Was wollen Sie von mir?« fragte der Kommis -
    sär.
    Emmenberger lachte. »Es ist wohl vor allem an mir, zu fragen: Was wollen Sie von mir?«
    »Das wissen Sie genau«, entgegnete der Kommissär.
    »Gewiß«, antwortete der Arzt. »Das weiß ich genau. Und so werden Sie auch genau wissen, was ich von Ihnen will.«
    Emmenberger stand auf und schritt zur Wand, die er einen Augenblick lang betrachtete, dem Kommissär den Rücken zukehrend. Irgendwo
    mußte er nun einen Knopf oder einen Hebel nie-dergedrückt haben; denn die Wand mit den tanzenden Männern und Frauen glitt lautlos auseinander wie eine Flügeltüre. Hinter ihr wurde ein weiter Raum mit Glasschränken sichtbar, die chirurgische Instrumente enthielten, blitzende Messer und Scheren in Metallbehältern, Watte-297
    büschel, Spritzen in milchigen Flüssigkeiten, Flaschen und eine dünne rote Ledermaske, alles säuberlich und ordentlich nebeneinander. In der Mitte des nun erweiterten Raumes stand ein Operationstisch. Gleichzeitig aber senkte sich von oben langsam und bedrohlich ein schwerer Metallschirm über das Fenster. Das Zimmer flammte auf, denn in die Decke waren, zwischen den Fugen der Spiegel, Neonröhren gelegt, wie der Alte erst jetzt bemerkte, und über den Schranken hing im blauen Licht eine große, runde, grünlich leuchtende Scheibe, eine Uhr,
    »Sie haben die Absicht, mich ohne Narkose zu operieren«, flüsterte der Alte.
    Emmenberger antwortete nicht.
    »Da ich ein schwacher, alter Mensch bin, werde ich schreien, fürchte ich«, fuhr der Kommissär fort.
    »Ich denke nicht, daß Sie in mir ein tapferes Opfer finden werden.«
    Auch darauf gab der Arzt keine Antwort.
    »Sehen Sie die Uhr?« fragte er vielmehr.
    »Ich sehe sie«, sagte Bärlach.
    »Sie steht auf halb elf«, sagte der andere und verglich sie mit seiner Armbanduhr. »Um sieben werde ich Sie operieren.«
    »In achteinhalb Stunden.«
    »In achteinhalb Stunden«, bestätigte der Arzt.
    »Aber jetzt müssen wir noch etwas miteinander besprechen, denke ich, mein Herr. Wir kom-298
    men nicht darum herum, dann will ich Sie nicht mehr stören. Die letzten Stunden sei man gerne mit sich allein,, heißt es. Gut. Doch geben Sie mir ungebührlich viel Arbeit.«
    Er setzte sich wieder auf den Stuhl, die Lehne gegen die Brust gepreßt.
    »Ich denke, Sie sind das gewohnt«, entgegnete der Alte.
    Emmenberger stutzte einen Augenblick. »Es freut mich«, sagte er endlich, indem er den Kopf schüttelte, »daß Sie den Humor nicht verloren haben. Da wäre Fortschig gewesen. — Er ist zum Tode verurteilt worden und hingerichtet. Mein Zwerg hat gute Arbeit geleistet. Den Lichtschacht im Hause an der Keßlergasse hinunterzuklettern, nach einer mühsamen Dachpromenade über die nassen Ziegel, von Katzen umschnurrt, und durch das kleine Fenster auf den andächtig sitzenden Dichterfürsten einen doch wirklich kraftvollen und tödlichen Hieb mit einem Schraubenschlüssel zu führen, war für den Däumling nicht eben leicht. Ich war ordentlich gespannt, als ich in meinem Wagen neben dem Judenfriedhof auf den kleinen Affen wartete, ob er es schaffen würde. Aber so ein Teufel, der keine achtzig Zentimeter mißt, schafft lautlos und vor allem unsichtbar. Nach zwei Stunden schon kam er im Schatten der Bäume angehüpft. Sie, Herr Kommissär, werde ich selbst zu übernehmen haben. Das wird nicht schwer sein, 299
    wir können uns die für Sie doch wohl peinlichen Worte ersparen. Aber was, um Gottes willen, machen wir nun mit unserem gemeinsamen Bekannten, mit unserem lieben alten Freund, dem Doktor Samuel Hungertobel am Bärenplatz?«
    »Wie kommen Sie auf den?« fragte der Alte lauernd.
    »Er hat Sie ja hergebracht.«
    »Mit dem habe ich nichts zu schaffen«, sagte der Kommissär schnell.
    »Er telefonierte jeden Tag gleich zweimal, wie es seinem alten Freund Kramer denn auch gehe, und verlangte Sie zu sprechen«, stellte Emmenberger fest und runzelte bekümmert die Stirne.
    Bärlach sah unwillkürlich nach der Uhr über den Glasschränken.
    »Gewiß, es ist viertel vor elf«, sagte der Arzt und betrachtete den Alten nachdenklich, aber nicht feindlich. »Kommen wir auf Hungertobel zurück.«
    »Er war aufmerksam zu mir, bemühte sich um meine Krankheit, hat aber nichts mit uns beiden zu schaffen«, entgegnete der Kommissär

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