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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Ar-beitskleidung, der auch gleich die »Anatomie« ab-zumontieren begann.
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    »He!« rief ihn der Kommissär, »Kommen Sie her.«
    Der Arbeiter montierte weiter. Manchmal fiel ihm eine Zange auf den Boden oder ein Schrau-benzieher, Gegenstände, nach denen er sich um-ständlich bückte.
    »Sie!« rief Bärlach ungeduldig, da sich der Arbeiter nicht um ihn kümmerte: »Ich bin der Poli-zeikommissär Bärlach. Verstehen Sie: Ich bin in Todesgefahr. Verlassen Sie dieses Haus, wenn Sie Ihre Arbeit beendigt haben, und gehen Sie zu Inspektor Stutz, den kennt doch hier jedes Kind.
    Oder gehen Sie zu irgendeinem Polizeiposten, und lassen Sie sich mit Stutz verbinden. Verstehen Sie?
    Ich brauche diesen Mann. Er soll zu mir kommen.«
    Der Arbeiter kümmerte sich immer noch nicht um den Alten, der mühsam in seinem Bett die Worte formulierte — das Sprechen fiel ihm schwer, immer schwerer. Die »Anatomie« war abgeschraubt, und nun untersuchte der Arbeiter den Dürer, sah sich das Bild genau an, bald aus der Nähe, bald hielt er es mit beiden Händen von sich weg, ein hohles Kreuz machend. Durch das Fenster fiel milchiges Licht. Einen Augenblick lang schien es dem Alten, er sehe hinter weißen Nebelstreifen einen glanzlosen Ball dahinschwimmen. Das Haar und der Schnurrbart des Arbeiters leuchteten auf.
    Es hatte draußen zu regnen auf-
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    gehört. Der Arbeiter schüttelte mehrmals den Kopf, das Bild schien ihm unheimlich vorzukom-men.
    Er wandte sich kurz nach Bärlach um und sagte in einer sonderbaren, überdeutlich formulierten Sprache ganz langsam, mit dem Kopf hin und her wackelnd:
    »Den Teufel gibt es nicht.«
    »Doch«, schrie Bärlach heiser: »Den Teufel gibt es, Mann! Hier in diesem Spital gibt es ihn. He, hören Sie doch! Man wird Ihnen ja wohl gesagt haben, ich sei verrückt und schwätze unsinniges Zeug, aber ich bin in Todesgefahr, verstehen Sie doch, in Todesgefahr: Dies ist die Wahrheit, Mann, so verstehen Sie doch, die Wahrheit, nichts als die Wahrheit!«
    Der Arbeiter hatte nun das Bild angeschraubt und kehrte sich zu Bärlach um, grinsend auf den Ritter zeigend, der so unbeweglich auf seinem Pferd saß, und stieß einige unartikulierte, gurgelnde Laute aus, die Bärlach nicht sofort verstand, die sich endlich aber doch zu einem halbwegs verständlichen Sinn formten:
    »Ritter futsch«, kam es langsam und deutlich aus dem verkrampften, schrägen Maul des Mannes mit dem blauen Kittel: »Ritter futsch, Ritter futsch!«
    Erst als der Arbeiter das Zimmer verließ und die Türe ungeschickt hinter sich zuschmetterte, be-290
    griff der Alte, daß er mit einem Taubstummen geredet hatte.
    Er griff zur Zeitung. Es war das »Bernische Bundesblatt«, das er entfaltete.
    Das Gesicht Fortschigs war das erste, was er sah, und unter der Fotografie stand: Ulrich Friedrich Fortschig, und daneben: ein Kreuz.

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    »Das unselige Leben des vielleicht doch mehr be-rüchtigten als bekannten Berner Schriftstellers Fortschig hat in der Nacht vom Dienstag auf den Mittwoch sein nicht ganz geklärtes Ende gefunden« — las Bärlach, dem es war, als drücke ihm jemand die Kehle zu. — »Dieser Mann«, fuhr der salbungsvolle Berichterstatter des Bernischen Bundesblattes fort, »dem die Natur doch so schöne Talente verlieh, hatte es nicht verstanden, die ihm anvertrauten Pfunde zu verwalten. Er begann (hieß es weiter) mit expressionistischen Dramen, die bei Asphaltliteraten Aufsehen erregten, doch
    vermochte er die dichterischen Kräfte immer weniger zu formen (aber es waren wenigstens dichterische Kräfte, dachte der Alte bitter), bis er auf die unglückliche Idee verfiel, mit dem »Apfelschuß« eine eigene Zeitung herauszugeben, die denn auch in einer Auflage von etwa fünfzig schreibmaschinengeschriebenen Exemplaren unre-gelmäßig genug erschien. Wer je den Inhalt dieses Skandalblattes gelesen hat, weiß genug: Es bestand aus Angriffen, die sich nicht nur gegen alles, was uns hoch und heilig ist, sondern auch gegen allgemein bekannte und geschätzte Persönlichkeiten richteten. Er kam immer mehr herunter, und man sah ihn öfters betrunken, mit seinem stadtbekannten gelben Halstuch — man nannte ihn in der unteren Stadt die Zitrone —, von einem Wirtshaus ins andere wanken, von einigen Studenten begleitet, die ihn als Genie hochleben lie-
    ßen. Über das Ende des Dichters ist folgendes ermittelt worden: Fortschig war seit Neujahr ständig mehr oder weniger betrunken. Er hatte — von irgendeinem gutmütigen Privatmann

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