Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Richter

Der Richter

Titel: Der Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
erwies sich als ziemliches Abenteuer.«
    »Das glaube ich gern. Für die Familie war sein Leben auch ein Abenteuer.«
    »Wir haben jedes Urteil Ihres Vaters in Schadenersatzprozessen und Fällen von schuldhaft verursachtem Tod gelesen. Es waren nicht viele, aber sie lieferten uns immerhin einige Anhaltspunkte. Bei den zuerkannten Summen war er konservativ, aber er stand immer auf der Seite des kleinen Mannes, des Arbeiters. Wir wussten, dass er sich an das Gesetz halten würde, aber wir wussten auch, dass alte Chancellors das Gesetz häufig nach ihrer eigenen Vorstellung von Gerechtigkeit auslegen. Die Wühlarbeit erledigten meine Angestellten, aber ich habe jede einzelne seiner wichtigen Entscheidungen gelesen. Er war brillant, Ray, und immer fair. Ich hatte an keiner einzigen seiner Äußerungen etwas auszusetzen.«
    »Sie haben ihn für den Gibson-Fall ausgewählt?«
    »Ja. Als wir beschlossen, den Fall vor einem Chancery Court und nicht vor einem Geschworenengericht verhandeln zu lassen, entschieden wir uns auch gegen einen örtlichen Richter. Davon gibt es drei. Einer ist mit der Familie Gibson verwandt, der andere befasst sich nur mit Scheidungen, und der dritte ist vierundachtzig, senil und hat das Haus seit drei Jahren nicht verlassen. Also sahen wir uns im gesamten Staat um und fanden drei mögliche Kandidaten. Glücklicherweise kannten sich mein Vater und Ihr Vater seit sechzig Jahren, vom Studium in Sewanee und später von der juristischen Fakultät der Universität von Mississippi. Sie waren während der ganzen Zeit nicht direkt befreundet gewesen, aber in Kontakt geblieben.«
    »Praktiziert Ihr Vater noch?«
    »Nein, er lebt jetzt in Florida und spielt jeden Tag Golf. Ich bin einziger Inhaber der Kanzlei. Aber mein alter Herr fuhr nach Clanton und plauderte mit Richter Atlee auf der Veranda über den Amerikanischen Bürgerkrieg und Nathan Bedford Forrest. Sie fuhren sogar nach Shiloh und sahen sich zwei Tage lang das Schlachtfeld an. Für Richter Atlee war es sehr bewegend, an der Stelle zu stehen, an der General Johnston fiel.«
    »Ich war selbst ein Dutzend Mal dort.« Ray konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

    »Einen Mann wie Richter Atlee setzt man nicht unter Druck, den muss man überzeugen.«
    »Für diese Art von Überzeugungsarbeit hat er einmal einen Anwalt ins Gefängnis geworfen. Der Kerl kam vor Verhandlungsbeginn herein und wollte seine Argumente vortragen. Der Richter ließ ihn dafür einen halben Tag lang im Gefängnis schmoren. «
    »Das war dieser Chadwick drüben in Oxford, nicht wahr?«, meinte French selbstzufrieden.
    Ray war sprachlos.
    »Wie dem auch sei, wir mussten Richter Atlee unbedingt vor Augen führen, wie wichtig der Ryax-Prozess war. Wir wussten, dass er keine Lust haben würde, den Fall an der Küste zu verhandeln, aber er würde es tun, wenn er an die Sache glaubte.«
    »Er hasste die Küste.«
    »Das war uns bekannt, und glauben Sie mir, es beunruhigte uns sehr.
    Aber er war ein Mann mit Prinzipien. Nachdem er den Amerikanischen Bürgerkrieg zwei Tage lang noch einmal durchlebt hatte, erklärte er sich widerwillig bereit, den Fall zu übernehmen.«
    »Ist die Berufung der Sonderrichter nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs?«, fragte Ray. Beim vierten Schluck floss der Wodka anstands-los hinunter und brannte auch nicht in der Kehle. Allmählich gewöhnte er sich an den Geschmack.
    French zuckte wegwerfend die Achseln. »Natürlich, aber es gibt immer einen Weg. Wir haben Beziehungen.«
    In der Welt von Patton French war jeder käuflich.
    Der Steward servierte frische Drinks. Nicht dass sie nötig gewesen wä-
    ren, aber sie wurden trotzdem akzeptiert. French war hyperaktiv und konnte nicht lange stillsitzen. »Jetzt zeige ich Ihnen das Schiff «, sagte er und sprang ohne erkennbare Anstrengung auf. Sein Glas balancierend, kletterte Ray vorsichtig aus dem Liegestuhl.

31
    Das Abendessen wurde in der Kapitänsmesse serviert, einem Mahagonige-täfelten Esszimmer, dessen Wände mit Modellen alter Klipper und von Kanonenbooten geschmückt waren. Dazwischen hingen Karten der Neuen Welt und des Fernen Ostens. Eine Sammlung alter Musketen sollte offenbar den Eindruck vermitteln, die King of Torts befahre die Weltmeere schon seit Jahrhunderten. Der Speiseraum befand sich auf dem Hauptdeck hinter der Brücke, nur durch einen schmalen Gang von der Küche getrennt, in der ein vietnamesischer Koch konzentriert vor sich hin arbeitete. Der offizielle Essbereich bestand aus einem

Weitere Kostenlose Bücher