Der Richter
eindeutig hervor, ob es das erste Mal war oder ob er schon einmal was bekommen hatte. Sieht aus, als hätte Forrest ihn überredet, sich richtig gutes Zeug zu besorgen.«
Eine Pause folgte, da eine hübsche junge Frau vorüberging, die es offen-kundig eilig hatte. Ihr enger Rock schmiegte sich an die wiegenden Hüften.
Harry Rex nahm noch einen Schluck Kaffee. »Ich war immer misstrauisch wegen des Testaments, das du in seinem Arbeitszimmer gefunden hast.
Während der letzten sechs Monate seines Lebens unterhielten der Richter und ich uns ausführlich über seinen letzten Willen, und ich glaube nicht, dass er unmittelbar vor seinem Tod so mir nichts dir nichts noch ein neues verfasste. Ich habe mir die Unterschriften genau angesehen, und meine Überzeugung als Laie ist, dass es sich bei dem letzten Testament um eine Fälschung handelt.«
Ray räusperte sich. »Wenn Forrest ihn nach Tupelo gefahren hat, kann man davon ausgehen, dass er auch im Haus war.«
»Überall im Haus.«
Harry Rex hatte in Memphis einen Privatdetektiv engagiert, um Forrest aufzuspüren, aber der war wie vom Erdboden verschluckt. Irgendwo in der Zeitung hatte ein Umschlag gesteckt, den er jetzt hervorholte. »Dann traf vor drei Tagen das hier ein.«
Ray zog ein Blatt Papier hervor und faltete es auseinander. Es stammte von Oscar Meave im Alcorn Village. »Sehr geehrter Mr. Vonner, leider ist es mir nicht gelungen, Ray Atlee zu erreichen. Ich kenne den Aufenthaltsort von Forrest, nur für den Fall, dass die Familie nicht weiß, wo er ist. Rufen Sie mich an, falls Sie darüber sprechenmöchten. Bitte behandeln Sie dieses Schreiben vertraulich. Mit den besten Wünschen, Oscar Meave.«
»Ich habe ihn natürlich sofort angerufen«, erklärte Harry Rex, während er mit dem Blick einer anderen jungen Frau folgte. »Er hatte mal einen Patienten, der jetzt Therapeut auf einer Ranch für Süchtige irgendwo im Westen ist. Forrest ließ sich dort vor einer Woche aufnehmen, erklärte jedoch, seine Familie dürfe seinen Aufenthaltsort auf keinen Fall erfahren.
Offenbar kommt so was von Zeit zu Zeit vor. Die Kliniken stecken da in der Zwickmühle. Einerseits müssen sie die Wünsche des Patienten respektieren, andererseits spielt die Familie bei einer erfolgreichen Therapie eine Schlüsselrolle. Daher informieren sich die Therapeuten gegenseitig. Meave beschloss, die Information an dich weiterzugeben.«
»Wo im Westen?«
»In Montana. Morningstar Ranch heißt die Anlage. Meave sagt, es sei genau das, was der Junge brauche - sehr schön, sehr abgelegen, mit Sicher-heitsvorkehrungen für harte Fälle. Forrest soll ein Jahr lang dort bleiben.«
Ray richtete sich auf und begann, sich die Stirn zu reiben, als hätte ihn am Ende doch eine Kugel ereilt.
»Natürlich ist es ein teures Institut«, ergänzte Harry Rex.
»Natürlich«, murmelte Ray.
Danach sagte keiner mehr etwas, zumindest nicht über Forrest. Nach ein paar Minuten erklärte Harry Rex, er müsse jetzt gehen. Er habe seine Botschaft überbracht und zumindest für den Augenblick nichts hinzuzufügen.
Seine Frau wolle so bald wie möglich bei ihrer Schwester sein. Vielleicht könnten sie das nächste Mal länger bleiben und essen gehen. Er klopfte Ray auf die Schulter und ließ ihn auf der Bank sitzen. »Wir sehen uns in Clanton«, waren seine letzten Worte.
Ray fühlte sich zu schwach und zu sehr außer Atem, um jetzt noch zu laufen. Deshalb blieb er auf der Bank vor seiner Wohnung in der Fußgängerzone sitzen und verlor sich in einer Welt aus sich rasch bewegenden Puzzleteilchen. Immer mehr Fußgänger hasteten an ihm vorbei, Kaufleute, Banker und Rechtsanwälte eilten zur Arbeit, aber Ray sah sie nicht.
Carl Mirk unterrichtete jedes Semester zwei Bereiche des Versicherungs-rechts und gehörte wie Ray der Anwaltskammer von Virginia an. Sie diskutierten die Befragung beim Mittagessen und kamen beide zu dem Schluss, dass sie Teil einer Routineuntersuchung war. Kein Grund zur Sorge also.
Mirk würde mitkommen und sich als Rays Anwalt ausgeben.
Der Ermittler der Versicherungsgesellschaft hieß Ratterfield. Sie trafen sich im Besprechungszimmer der juristischen Fakultät, wo Ratterfield sein Jackett auszog. Es sah aus, als würde das Gespräch Stunden dauern. Ray trug Jeans und ein Golfhemd, Mirk war ebenso leger gekleidet.
»Ich zeichne solche Befragungen immer auf«, erklärte Ratterfield, während er einen Kassettenrekorder hervorholte und zwischen sich und Ray platzierte. »Haben Sie
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