Der Richter
Kaley stand er nicht mehr ganz so ablehnend gegenüber. Er war bereit, es noch ein letztes Mal mit einem Abendessen zu versuchen. Nachdem sie ihr Studium inzwischen abgeschlossen hatte, gab es keine rechtlichen Probleme mehr, und sie sah einfach zu gut aus, um sie abzuschreiben, ohne sich wirklich bemüht zu haben.
Da er allein lebte, war seine Wohnung unverändert. Bis auf die Tür gab es keinerlei Hinweise auf den erneuten Einbruch. Mittlerweile wusste er ja, dass es sich bei dem Eindringling nicht um einen echten Dieb gehandelt hatte, sondern dass er nur schikaniert und eingeschüchtert werden sollte.
Entweder war es Gordie selbst gewesen oder einer seiner Brüder. Ray wusste nicht genau, wie sie sich die Arbeit geteilt hatten, aber es war ihm auch egal.
Es war fast elf Uhr. Ray kochte sich einen starken Kaffee und ging die Post durch. Keine anonymen Briefe mehr, nur die üblichen Rechnungen und Werbesendungen.
Im Eingangskorb lagen zwei Faxe. Das eine stammte von einem früheren Studenten, das zweite von Patton French. Er habe versucht anzurufen, aber Rays Handy funktioniere nicht. Die Nachricht war mit der Hand auf Briefpapier der King of Torts geschrieben. Bestimmt hatte French sie von den grauen Wassern des Golfs von Mexiko aus gefaxt, wo er seine Jacht immer noch vor dem Scheidungsanwalt seiner Frau versteckte.
Gute Nachrichten von der Sicherheitsfront - kurz nachdem Ray gefahren sei, habe man Gordie Priest und einer seiner Brüder »lokalisiert«. Ob Ray ihn bitte zurückrufen könne? Seine Assistentin wisse, wo er zu finden sei.
Nachdem Ray zwei Stunden lang herumtelefoniert hatte, meldete sich French schließlich aus einem Hotel in Fort Worth, wo er sich mit einigen Ryax- und Kobril-Anwälten traf. »Hier oben werde ich wahrscheinlich an die tausend Fälle übernehmen«, verkündete er. Offensichtlich konnte er das nicht für sich behalten.
»Wunderbar.« Ray hatte nicht die Absicht, sich noch mehr Schwafeleien über Sammelklagen und Millionen-Dollar-Vergleiche anzuhören.
»Ist Ihr Telefon sicher?«, fragte French.
»Ja.«
»Gut, dann hören Sie mir zu. Priest stellt keine Bedrohung mehr dar. Wir fanden ihn kurz nach Ihrem Aufbruch. Er lag besoffen mit einer Frau im Bett, irgendeiner alten Bekannten. Den einen Bruder haben wir ebenfalls aufgespürt, der andere ist in Florida. Ihr Geld ist sicher.«
»Wann genau haben Sie sie gefunden?« Ray beugte sich über den gro-
ßen Kalender, den er auf dem Küchentisch ausgebreitet hatte. Der genaue Zeitpunkt war von größter Bedeutung. Während er auf den Rückruf gewartet hatte, hatte er die letzten Tage mit Notizen versehen.
French überlegte einen Augenblick. »Äh, lassen Sie mich nachdenken.
Was ist heute?«
»Montag, der 6. Juni.«
»Montag. Wann haben Sie die Küste verlassen?«
»Um zehn Uhr am Freitagmorgen.«
»Dann war es Freitag gleich nach dem Mittagessen.«
»Sind Sie sicher?«
»Natürlich bin ich sicher. Warum fragen Sie?«
»Und es besteht nicht die Möglichkeit, dass er die Küste verlassen hat, nachdem Sie ihn gefunden haben?«
»Glauben Sie mir, Ray, der verlässt die Küste nie wieder. Er hat hier seine, äh, endgültige Heimat gefunden.«
»Einzelheiten interessieren mich nicht.« Ray setzte sich an den Tisch und starrte auf den Kalender.
»Was ist los? Stimmt etwas nicht?«
»Ja, das könnte man sagen.«
»Was? «
»Jemand hat das Haus abgebrannt.«
»Richter Atlees Villa?«
»Ja.«
»Wann?«
»Nach Mitternacht in der Nacht von Freitag auf Samstag.«
Eine kurze Pause trat ein, während French das verdaute. »Also, die Priests waren es nicht, das kann ich mit Sicherheit sagen. «
Als Ray schwieg, fragte French: »Wo ist das Geld?«
»Das weiß ich nicht.«
Auch nach einem Acht-Kilometer-Lauf fühlte er sich nicht entspannter, obwohl er dabei Pläne geschmiedet und seine Gedanken ein wenig geordnet hatte. Die Temperatur betrug über dreißig Grad Celsius, und er war schweißüberströmt, als er in seine Wohnung zurückkehrte.
Da er Harry Rex alles erzählt hatte, gab es jetzt zumindest jemanden, mit dem er über die neueste Entwicklung reden konnte. Er rief in Harry Rex’
Büro in Clanton an und erfuhr, dass dieser in Tupelo im Gericht sei und erst spät zurück erwartet werde. Als Ray es bei Ellie in Memphis versuchte, nahm niemand ab. Er probierte es bei Oscar Meave im Alcorn Village, obwohl er davon überzeugt war, dass es keine Nachricht von seinem Bruder geben würde. Genauso war es.
So viel zum
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