Der Richter
namens Nakita Poole, der in Clanton bereits so etwas wie eine Legende war. Er stammte aus einer einfachen Familie, die im Süden der Stadt lebte. Einem Chemielehrer der Highschool hatte er es zu verdanken, dass er nicht in der neunten Klasse von der Schule abging und eine weitere Zahl in einer Statistik wurde. Der Richter hatte ihn anlässlich einer unschönen Familiensache am Gericht kennen gelernt und Interesse für den jungen entwickelt. Poole besaß ein erstaunliches Talent für Mathematik und Naturwissenschaften. Er schnitt als Bester seiner Klasse ab, bewarb sich bei den führenden Colleges und wäre überall angenommen worden. Der Richter schrieb gewichtige Empfehlungsschreiben und zog alle Fäden, derer er habhaft werden konnte. Als Nakita sich für Yale entschied, bezahlte er ihm alles außer dem Taschen-geld. Darüber hinaus schrieb er dem jungen vier Jahre lang jede Woche, und in jedem Brief steckte ein Scheck über fünfundzwanzig Dollar.
»Ich war nicht der Einzige, der Briefe oder Schecks erhielt«, erzählte Poole der schweigenden Menge. »Viele von uns kamen in diesen Genuss.«
Inzwischen war er Arzt und wollte für zwei Jahre nach Afrika, um dort ehrenamtlich zu arbeiten. Ach werde diese Briefe vermissen«, schloss er, und sämtliche anwesenden Damen hatten Tränen in den Augen.
Nun war Thurber Foreman an der Reihe. Als Coroner der Stadt oblag es ihm, unerwartete und verdächtige Todesfälle zu untersuchen. Seit vielen Jahren war er fester Bestandteil bei allen Beerdigungen in Ford County.
Der Richter hatte sich ausdrücklich gewünscht, dass er »Just a Closer Walk with Thee« sang und sich auf der Mandoline dazu selbst begleitete. Obwohl Thurber weinte, gelang es ihm, wunderschön zu singen.
Irgendwann rieb sich auch Forrest die Augen. Ray starrte indessen nur auf den Sarg und fragte sich, wo das Geld herkam. Was hatte der alte Mann getan? Und was hatte er sich für den Fall seines Todes für das Geld überlegt?
Der Reverend sprach noch ein kurzes Gebet, dann schoben die Sargträ-
ger Richter Atlee aus der Kirche. Mr. Magargel begleitete Ray und Forrest auf dem Weg über den Mittelgang und die Freitreppe hinunter bis zum Leichenwagen, hinter dem eine Limousine wartete. Die Leute strömten hinter-drein und gingen zu ihren Autos, um zum Friedhof zu fahren.
Wie alle Kleinstädte liebte Clanton Beerdigungsprozessionen. Der gesamte Verkehr wurde angehalten. Wer nicht im Konvoi mitfuhr, stand auf dem Gehsteig und blickte traurig auf den Leichenwagen und die schier endlose Parade von Autos, die ihm folgte. Sämtliche Hilfsdeputys waren im Dienst und sperrten irgendetwas - eine Straße, eine Gasse oder Parkplätze.
Der Tross folgte dem Leichenwagen um das Gerichtsgebäude herum, dessen Fahnen auf halbmast waren. Davor standen mit gesenkten Köpfen die County-Angestellten. Die Händler, die um den Clanton Square herum ihre Ladengeschäfte hatten, kamen heraus und winkten Richter Atlee zum Abschied zu.
Am Familiengrab der Atlees wartete seine letzte Ruhestätte, direkt neben seiner längst vergessenen Frau und den Vorfahren, die er so verehrt hatte.
Er würde der letzte Atlee sein, der mit dem Staub von Ford County eins werden würde. Niemand wusste das, es interessierte aber auch niemanden.
Ray würde verbrannt und seine Asche über den Blue Ridge Mountains verstreut werden. Forrest war dem Tod sicherlich näher als Ray, hatte aber noch nicht verfügt, was mit seinen sterblichen Überresten geschehen sollte.
Fest stand nur, dass er nicht in Clanton begraben werden wollte. Ray war für Verbrennung. Ellie dachte an ein Mausoleum. Forrest zog es vor, überhaupt nicht erst über das Thema zu reden.
Die Trauergemeinde versammelte sich um einen purpurroten Baldachin von Magargel, der viel zu klein war. Das Dach überspannte gerade einmal das Grab und vier Reihen Klappstühle. Tausend hätte man brauchen können.
Ray und Forrest saßen so dicht am Sarg, dass sie fast mit den Knien dagegen stießen, und lauschten Reverend Palmers Grabpredigt. In Anbetracht der Tatsache, dass Ray auf einem Klappstuhl am offenen Grab seines Vaters saß, gingen ihm, wie er fand, ziemlich unpassende Dinge durch den Kopf. Er wollte nach Hause. Er vermisste seine Hörsäle und seine Studenten. Er vermisste das Fliegen und den Blick auf das Shenandoah Valley aus fünfzehnhundert Metern Höhe. Er war müde und reizbar und hatte keine Lust, die nächsten zwei Stunden auf dem Friedhof zu verbringen und Kon-versation mit Leuten
Weitere Kostenlose Bücher