Der Richter
zu betreiben, die sich an seine Geburt erinnern konnten.
Die Frau eines Pfingstkirchenpriesters hatte das letzte Wort. Als sie »A-mazing Grace« sang, stand für fünf Minuten die Zeit still. Ihr herrlicher Sopran schwebte über den sanften Hügeln des Friedhofgeländes und spendete den Toten Trost und den Lebenden Hoffnung. Selbst die Vögel hörten auf herumzuflattern.
Ein junger Mann von der Army spielte »Taps« auf der Trompete, und alle vergossen ein paar Tränen. Das Sternenbanner wurde gefaltet und Forrest übergeben, der in seiner verdammten Wildlederlacke schluchzte und schwitzte. Als die letzten Töne zwischen den Bäumen verklangen, fing Harry Rex hinter ihnen laut an zu heulen. Ray beugte sich vor und berührte den Sarg. Er sprach ein stilles Lebewohl und verharrte dann, die Ellbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht in den Händen verborgen.
Die Beerdigung ging nun rasch zu Ende, es war Zeit fürs Mittagessen.
Ray hoffte, dass ihn die Leute in Ruhe lassen würden, wenn er einfach so sitzen bliebe und auf den Sarg starrte. Forrest legte ihm schwer einen Arm um die Schultern, und sie sahen aus, als würden sie sich mindestens bis Sonnenuntergang nicht von der Stelle rühren. Harry Rex fand seine Fassung wieder und übernahm die Rolle des Familiensprechers. Vor dem Baldachin stehend, dankte er den Honoratioren für ihr Kommen, lobte Palmer für den schönen Gottesdienst und die Frau des Priesters für ihren wunder-baren Gesangsvortrag, sagte Claudia, sie könne nicht bei den Jungs sitzen bleiben, sondern müsse mit den anderen mitgehen, und so weiter und so fort. Unter einem Baum in der Nähe warteten die Totengräber mit der Schaufel in der Hand.
Nachdem alle fort waren, einschließlich Mr. Magargel und seinem Team, ließ sich Harry Rex auf den freien Stuhl neben Forrest fallen. Eine ganze Weile saßen die drei mit leerem Blick da, keiner von ihnen wollte so recht aufbrechen. Die Stille störte allein das Motorengeräusch eines Schau-felbaggers, der in einiger Entfernung wartete. Aber das war ihnen egal. Wie oft trug man schon den eigenen Vater zu Grabe?
Und welche Bedeutung hatte Zeit für einen Baggerfahrer?
»Was für eine schöne Beerdigung«, sagte Harry Rex schließlich. Er war Experte auf diesem Gebiet.
»Er wäre stolz gewesen«, stimmte Forrest zu.
»Er mochte schöne Beerdigungen«, fügte Ray hinzu. »Während er Hochzeiten hasste.«
Ach liebe Hochzeiten«, meinte Harry Rex.
»Wie viele waren es noch bei dir? Vier oder fünf «, fragte Forrest.
»Vier, bis Jetzt jedenfalls.«
Ein Mann im Overall der Stadtangestellten kam und fragte leise: »Sollen wir ihn jetzt bestatten?«
Weder Ray noch Forrest wussten, was sie sagen sollten. Harry Rex zö-
gerte nicht. »ja, bitte«, sagte er. Der Mann steckte eine Kurbel in den Katafalk und begann zu drehen. Ganz langsam sank der Sarg in die Grube. Sie sahen zu, bis er auf dem roten Erdboden zum Stehen kam.
Der Mann entfernte Riemen, Katafalk und Kurbel und verschwand.
»Ich schätze, es ist vorbei«, sagte Forrest.
Zu Mittag gab es Tamales und alkoholfreie Getränke in einem Fastfood-Restaurant am Stadtrand, weitab von den überfüllten Lokalen, wo sie ohne Zweifel immer wieder jemand angesprochen und ein paar nette Worte über den Richter gesagt hätte. Sie saßen an einem Holztisch unter einem großen Sonnenschirm und sahen zu, wie die Autos vorbeifuhren.
»Wann fährst du nach Hause?«, wollte Harry Rex wissen.
»Gleich morgen früh«, antwortete Ray.
»Wir haben noch Arbeit vor uns.«
»Ich weiß. Lass uns das heute Nachmittag erledigen.«
»Was für Arbeit?«, fragte Forrest.
»Das Testament betreffend«, erklärte Harry Rex. »Wir werden den Nachlass in ein paar Wochen eröffnen, sobald Ray wieder kommen kann. jetzt müssen wir die Papiere des Richters durchsehen und schauen, wie viel Arbeit darin steckt.«
»Klingt wie ein Job für den Nachlassverwalter.«
»Du kannst gern mithelfen.«
Beim Essen dachte Ray an seinen Wagen, der in einer belebten Straße unweit der presbyterianischen Kirche parkte. Dort war er bestimmt in Sicherheit. »Ich war gestern Abend im Kasino«, verkündete er mit vollem Mund.
»In welchem?«, fragte Harry Rex.
»Santa Fe irgendwas, es war das Erste, an dem ich vorbeikam. Warst du mal dort?«
»Ich kenne sie alle«, erwiderte Harry Rex in einem Tonfall, als wollte er nie wieder eines besuchen. Mit Ausnahme von Drogen hatte er in seinem Leben jedes Laster einmal ausprobiert.
»Ich auch«,
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