Der Rikschamann
erst auf der Gefühlebene argumentieren und darauf verweisen, dass ich diesen jungen Mann seit zwei Jahren als aufgeweckten, talentierten und offensichtlich moralisch integren Menschen zu schätzen gelernt habe – kleine Exkursion in die Psychoanalyse. Entlarven wir Ihren Trugschluss mit einer simplen Hypothese: Angenommen, Max Harder ist der Mörder – warum sollte er die Leiche ausgerechnet dort verschwinden lassen, wo am nächsten Tag eine Studentengruppe das Gelände absucht? Zeit und Ort unserer heutigen Seminarveranstaltung waren ihm schließlich seit Wochen bekannt!«
Max schmunzelte unwillkürlich über Straschitz’ Eifer und registrierte, dass auch Bronsteins Mundwinkel amüsiert zuckten.
Kommissar Hesse wandte sich wieder Max zu, scheinbar ungerührt. »Sie haben den Beutel gefunden. Geöffnet hat ihn aber Ihr Freund Oleg Wolff. Leider ist er nicht mehr hier. Sehr schade, dass er nicht auf uns gewartet hat! Können Sie sich das erklären?«
Konnte Max nicht. Tatsache war, dass sich Oleg irgendwie in dem allgemeinen Tumult unmittelbar nach dem schrecklichen Fund mitsamt des Gelben Ungetüms abgesetzt haben musste.
»Schockreaktion, vermutlich.« Und mich lässt er mal wieder alles alleine ausbaden, dachte Max. »Ich habe Ihnen doch seine Handynummer gegeben!«
»Schon versucht«, kam es von Bronstein. »Er meldet sich nicht.«
»Super, noch ein Tatverdächtiger!« ätzte Max und röhrte in ein beidhändig simuliertes Megaphon. »An alle Einheiten: Der Mörder flüchtet auf einer quietschgelben Fahrradrikscha!«
»Schalten Sie mal runter, Harder!« Der Ärger in Hesses Eisaugen war jetzt unverkennbar. »Man muss immer von den Fakten ausgehen, die man hat. So viel sollten Sie doch bei Ihrem Herrn Professor schon gelernt haben.«
Straschitz setzte zum Kontern an, Max kam ihm zuvor. »Dann sammeln Sie mal schnell ein paar Fakten dazu! Bisher ist das ganz schön wenig.«
»Oleg Wolff stammt aus Russland?«
»Er ist Deutschrusse. Na und?«
»Das Opfer sprach mit einem russischen Akzent. Haben Sie selbst zu Protokoll gegeben.«
Straschitz hielt es nicht länger. »Mit Verlaub, Herr Kommissar: Das ist spekulative Scheiße!«
»Sie sind also auch Professor für Kriminologie?«
Max stand kurzentschlossen auf, stieg aus dem VW-Bus und wandte sich noch einmal dem Kommissar zu. »Noch etwas Stoff für die große Verschwörungstheorie? Oleg hat auch mal bei Professor Straschitz studiert. Und er ist nicht nur mein Geschäftspartner und Freund, wir teilen uns sogar eine Wohnung zusammen! Wenn Sie also noch Fragen haben – Sie erreichen uns beide unter der gleichen Adresse.«
Hesse blieb im Bus sitzen, sein Eisblick fixierte den jungen Mann ungerührt. »Wenn das mal nicht praktisch ist.«
Tja, dachte Max.
Für dich vielleicht.
»Noch einen Espresso, Schatz?« Elena bediente routiniert das Display der chromfunkelnden De-Longhi-Coffeebar. Das Gerät gurgelte kurz mit Dampf und strullte punktgenau einen braunen Strahl in die Tasse – diskreter, als ein Hund sein Beinchen zu heben vermochte.
»Hab’ noch, danke.« Pieter Westheim saß am Tresen seiner in jeder Hinsicht großzügig dimensionierten Designerküche und wartete darauf, dass der Abglanz all dieser wunderbaren Dinge um ihn herum ihm endlich wieder die innere Stärke zurückgeben würde. Das Selbstbewusstsein, die klare Denke, die er brauchte, um durch diesen verdammten Tag zu kommen. Nicht bloß durch diesen verdammten Tag. Er hatte geduscht und frische Sachen angezogen, trotzdem fühlte er sich irgendwie verklebt.
»Wo hast du denn den BMW stehen lassen? Ich bin nachher sowieso shoppen – soll ich den Wagen abholen?«
»Nein, nein«, wehrte Pieter eilig ab, »ich muss auch wieder in die City! Treffen mit so ’nem Fotografen – Bilder fürs neue Cover checken und so.«
Elena schlürfte ihren Espresso auf ex. Brühend heiß. Die Frau muss Leder in der Schnauze haben, dachte Piet. Sie stellte die Tasse in die Spülmaschine, kam herüber und wuschelte Piet durchs Haar.
»Wir könnten ja auch zusammen fahren?«
»Nee, ich muss gleich los, lass mal. Ich ruf mir ein Taxi.«
»Ist gut. Ich muss sowieso noch auf das Kindermädchen warten und ein paar Sachen regeln. Dann bis heute Abend.«
Pieter nickte, Elena küsste ihn zart und verließ die Küche. Wenigstens ließ sie ihn heute in Ruhe. Das war sonst nicht unbedingt ihre Art. Gewöhnlich bohrte sie haarklein nach und ließ nicht locker, bis sie alle Einzelheiten des Vorabends wusste.
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