Der Rikschamann
Hab’ ich doch längst erzählt.«
»Den Namen der Kundin haben Sie aber noch nicht erwähnt.«
»Fragt ein Taxifahrer seinen Fahrgast nach dem Namen?«
»Sie sind kein Taxifahrer.«
»Stimmt. Ich bin ein Rikschamann. Und mir ist auch egal, wie meine Fahrgäste heißen.«
»Schade. Zumindest in diesem Fall. Hat sonst noch jemand das Mädchen in Ihrer Rikscha gesehen?«
Max nickte. »Vielleicht flüchtig. Meine beiden Kollegen von City-Cycles. Die können dazu aber bestimmt auch nicht mehr sagen als ich.«
»Die Namen?«
»Mo. Steht, so weit ich weiß, für Moses. Moses Sandmann. Der andere nennt sich Kuli. Fragen Sie einfach bei City-Cycles nach den beiden.«
Hesse notierte sich die Namen, während Max’ Blick wieder abschweifte und, angezogen von dunkler Faszination, an dem feuchten, noch immer nicht abgetrockneten Fleck auf dem Gehweg hängen blieb, den der Schädel hinterlassen hatte. Obwohl Max das entstellte Gesicht wiedererkannt hatte, konnte er noch immer nicht wirklich fassen, dass es dem Mädchen gehörte, die er im Geiste »Taiga-Lilli« genannt hatte und deren Sinnlichkeit sogar in dem kurzem Moment ihrer flüchtigen Begegnung ungespielt präsent gewesen war – ein solches Versprechen aufs Leben, als verkörpere sie das genaue Gegenteil von Tod und Verderben. Doch dann hatte ihr jemand dies alles genommen, sie in einem brutalen Akt, über dessen entsetzliche Einzelheiten nachzudenken sich Max weigerte, in einen Haufen Bio-Abfall verwandelt. Rattenfutter. Etwas, das man auseinander schnitt, damit es besser in die Tonne passte. Oder in einen Beutel. Einen Beutel, gegen den jemand tritt. Vollspann. Matschgeräusch. Und alles, was bleibt, ist ein nasser Fleck, der allmählich wegtrocknet.
Professor Straschitz und die junge Kollegin des Kommissars umrundeten die grausige Marke pietätvoll in weitem Bogen, als sie sich dem Polizeibus näherten. Hesse sah ihnen erwartungsvoll entgegen. »Noch was gefunden, Bronstein?«
Seine Kollegin schüttelte den Kopf. »Wird wohl auch nichts.«
»Warum?«
»Hätten der oder die Täter alle Leichenteile an ein und derselben Stelle entsorgen wollen, hätte man sich kaum die Arbeit gemacht, das Mädchen zu enthaupten!«
Bronsteins dunkle Stimme klang angenehm, fast erotisch, fand Max – ein merkwürdiger Gegensatz zu dem, was sie sagte: die nüchterne Analyse einer Katastrophe. Sie ist bestimmt nicht viel älter als ich, stellte er fest. Vielleicht sollte ich einfach nicht genau hinhören und nur dem Klang der Stimme lauschen. Aber an Bronstein ließ sich schwerlich auch nur eine Facette ignorieren. Weder die hochgewachsene, drahtige Gestalt noch der hellwache Blick ihrer nussbraunen Augen waren leicht zu übersehen. Schon gar nicht die Nase, deren energischer Schwung in den schönen Linien ihres Gesichts eine Pointe setzte – wie ein Ausrufezeichen hinter der dringlichen Aufforderung, die Trägerin dieser Nase nicht zu unterschätzen. Kommissar Hesses Eisblick und jetzt noch diese Bronstein! Max war sich keiner Schuld bewusst, ging aber schon instinktiv auf Habacht.
»Der Suchtrupp muss auch gleich aufhören«, berichtete Bronstein weiter. »Das Wasser läuft wieder auf. Laut Schleusenamt muss das so reguliert werden, es gibt sonst Komplikationen mit der Schifffahrt. Sollen wir Taucher anfordern?«
Kommissar Hesse nickte.
»Was wollen Sie hier finden?« warf Max ein. »Man hat das Mädchen wohl kaum auf offener Straße verstümmelt. Sie wurde sicher ganz woanders umgebracht!«
Hesses Eisblick nagelte Max fest. »Wo, zum Beispiel?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Immerhin haben Sie den Schädel gefunden. Ein gutes Dutzend Leute buddelt im Schlick, und ausgerechnet Sie finden den Schädel. Warum eigentlich?«
»Frag’ ich mich auch. Sie werden doch dafür bezahlt, Verbrechen aufzuklären.« Der Mann ging Max allmählich auf die Nerven. Außerdem tat es gut, nach all dem Schrecken aktiv auszuteilen – das half ihm wieder in die innere Balance.
»Herr Kommissar, ich teile den Unmut meines Studenten!« Horst Straschitz musterte den Kripomann streng, als wäre Hesse ein Examensversager. »Ihre Unterstellung gegenüber Herrn Harder widerspricht schlicht der Logik.«
Hesse richtete seinen Blick fast verwundert auf den Professor, als sei der ein ganz besonders seltsamer Vogel. »Ach ja?«
»Ein derartiger Verdacht in diesem Fall demonstriert lediglich Ignoranz gegenüber der Kausalität der Fakten«, legte Straschitz unbeirrt los. »Ich will gar nicht
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