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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schroeter
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Gefühl, wie sich das gediegene Möbel nach kurzer Schwingung in entspannter Position einpendelte und ihn mit knuffigen Lederpolstern umschmeichelte wie ein maßgeschneiderter Schutzpanzer. Endlich fand er zur gewohnten Lässigkeit zurück, stellte er beruhigt fest.
    Pieter legte sich den Briefumschlag auf dem Schreibtisch zurecht. Gepolstert, an einer Stelle ein wenig ausgebeult, als ob irgendein Gegenstand darin läge. Kein Absender, fiel ihm jetzt auf. Sah doch nicht nach der Produktionsfirma aus. Die ließen keine Gelegenheit aus, ihr Firmenlogo auf jeden Mist zu drucken. Seine eigene Adresse hatte man mittels eines neutralen, computergedruckten Klebeetiketts auf den Umschlag gepappt. Pieter nahm einen Brieföffner vom Schreibtisch und schlitzte das Kuvert mit einer schnellen Bewegung auf. Etwas fiel heraus. Reaktionsschnell kniff er die Beine zusammen und fing es im Schoß auf: Etwas Schmales, Längliches – wie ein Stift oder vielleicht ein Feuerzeug, in eine dicke Schichte Watte gewickelt. Neugierig wickelte Pieter die Watte ab. Ein fahles Gebilde, ledern und knochig… Sein Herzschlag setzte aus, entsetzt ließ er das Ding fallen und starrte auf den abgetrennten Finger, der jetzt auf dem Teppich lag und leicht gekrümmt zu locken schien: Komm und sieh mich an!
    Scherzartikel. Das konnte einfach nicht echt sein. Irgendein schräg gepoltes Arschloch mit krankem Humor, das ihn auf die Rolle nehmen wollte. Pieter biss sich auf die Unterlippe und versuchte, Puls und Atmung wieder einigermaßen in den Griff zu kriegen. Du musst das Ding nur aufheben, dann siehst du, dass da »Made in China« draufsteht! Mechanisch langte er eine Illustrierte vom Schreibtisch, bückte sich und schob den Finger vorsichtig mit seinem Schuh aufs Papier. Der Finger rollte einmal um die eigene Achse und sah fürchterlich echt aus, erst recht, als er samt der Unterlage vor Pieter auf dem Tisch lag. Ein zierlicher Frauenfinger mit einem sorgsam gepflegten Nagel, lackiert mit einem diabolischen Rot. Teufelin. Teufelienchen. In Pieters Magen begann es zu rumoren. Trotzdem zwang er den Blick zum grausigen Gegenpol des Fingernagels. Auch an der Schnittstelle dominierte die Farbe Rot, hier lag sie als dunkle Kruste über den Wundrändern wie eine alte Rostschicht. Dazwischen hing weißlich schlaff wie ein fahler Wurm ein Stück Sehne heraus. Pieter schaffte es gerade noch, seinen Kopf über den Papierkorb zu bugsieren, da kam es ihm hoch. Würgend erbrach er Galle mit Espresso, bis sein Magen nichts mehr hergab.
    »Piet? Dein Taxi ist da… Mein Gott, wie siehst du denn aus…?«
    Reflexartig legte Pieter seine ausgebreitete Linke über den Leichenfinger, während er mit der Rechten ein Taschentuch hervorkramte und sich die Kotze aus dem Gesicht wischte. Wenigstens sorgte sein Anblick dafür, dass es Elena vorzog, in der Tür stehen zu bleiben. In ihrem Gesicht kämpfte Ekel mit Entsetzen.
    »Bist du krank?«
    »Quatsch. Nur die verdammte Qualmerei gestern – und ein Glas zuviel…«
    »Brauchst du irgendwas?«
    »Lass mich einfach in Ruhe.«
    »Und was ist mit dem Taxifahrer?«
    »Soll sich verpissen.«
    Der Finger schien Eiseskälte zu verströmen. Pieter spürte genau die Konturen des abgetrennten Teils unter seiner Linken, obwohl er angestrengt jeden Hautkontakt damit vermied, indem seine Handfläche buckelte wie eine aufgeschreckte Katze. Elena wich immer noch nicht von der Tür.
    »Ich koch dir einen Tee…«
    »LASS MICH IN RUHE – schnallst du das nicht?«
    »Ist ja gut!«
    Beleidigt verzog sich Elena und ließ zum Abschied die Tür knallen.
    Hastig zog Pieter seine Linke zurück und wischte sie am Hosenbein ab, als könne der Jeansstoff die Erinnerung an Tod und Verwesung ausradieren. Was nun? Polizei anrufen und so tun, als wisse er von nichts? Das wäre eine Option. Er erinnerte sich ja wirklich an kaum etwas von letzter Nacht. Worin natürlich auch eine große Gefahr lag.
    Sein Blick fiel auf das Kuvert, das achtlos auf den Schreibtisch gesegelt war, nachdem es seinen Horrorinhalt auf Pieters Schoß gespuckt hatte. Von wem kam das? Und – Pieter schluckte bei diesem Gedanken unwillkürlich – befand sich vielleicht noch mehr darin?
    Vorsichtig zog er den Umschlag zu sich heran. Da steckte tatsächlich noch etwas zwischen den Luftpolstern – ein Foto und ein kurzes Schreiben. Computerausdruck, neutral wie der Adressaufkleber. Pieter ließ das Foto stecken und nahm sich den Brief vor. Der bestand nur aus drei kurzen Zeilen:

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