Der Rikschamann
»Piet West, das wird nicht billig. Aber wir kriegen alles geregelt, ohne Polizei. Wir melden uns noch heute.«
Keine Unterschrift, na klar. Er würde doch die Kripo einschalten – Skandal hin, Skandal her. Okay, man erwischt ihn beim Fremdvögeln und die Dame ist ganz schön jung. Aber diese Typen schnitten einem Mädchen einfach den Finger ab! Mit so etwas habe ich nichts zu tun, dachte Pieter. Und deshalb zahle ich auch nichts. Denn darauf lief es ja wohl hinaus. Erpressung. Nicht mit ihm.
Statt zum Telefon griff er noch mal zum Briefumschlag und nahm das Foto heraus. Der Schock trat ihm noch härter in die Magengrube als beim Anblick des toten Fingers…
Da lag sie. Nastja. Pieter würde kein sexuelles da capo mehr brauchen, um sich an ihren nackten Leib zu erinnern. Das Foto zeigte sie entblößt und geradezu obszön ausgebreitet auf einem Teppich. Ihre Augen starrten leer in die Kamera. Ströme von Blut flossen aus etlichen Wunden von ihrem Körper herab und sammelten sich um sie herum zu einer dunklen Lache. Und neben ihr, scheinbar ganz entspannt an Nastjas Schulter gekuschelt, lag Pieter Westheim, nur mit einem Slip bekleidet. Sein ausgestreckter Arm schien das Mädchen zu umarmen, aber das Foto ließ keinen Zweifel daran, dass diese Geste alles andere als zärtlich war: Pieters Hand umklammerte den schwarzpolierten Griff eines langen Filetiermessers, dessen Klinge tief zwischen den Rippen seines Opfers steckte.
Pieter saß da wie zu Eis gefroren. Losgelöst von sich selbst. Das war er auf dem Foto. Sein Teppich. Der Flur im Penthouse.
Nicht mehr denken. Es gab keine Gedanken dafür.
Pieter saß einfach da und weigerte sich zu denken.
Aus dem Papierkorb kroch saurer Gestank.
5.
Der Regen fühlte sich nicht an wie Regen. Man spürte kaum einzelne Tropfen, es war eher eine allgegenwärtige, graue Wand aus kalter Gischt, die Max und den Professor umgab. Hamburger April in reinster Konsistenz. Wer da trocken bleiben wollte, bräuchte schon ein Ganzkörperkondom, dachte Max. Möglicherweise hätte er im Bullenbus sitzen bleiben können, aber da hatte es ihn nicht mehr gehalten. Weggehen ließ man ihn allerdings auch noch nicht. Zwischen den Einsatzfahrzeugen palaverte Kommissar Hesse mit seinen Leuten, seine Mitarbeiterin Bronstein telefonierte schon wieder. Versucht wahrscheinlich immer noch, Oleg zu erreichen, vermutete Max. Er selbst hatte das zwischenzeitlich auch immer wieder erfolglos versucht.
Horst Straschitz sah ebenfalls zur Kripobeamtin hinüber und vermutete das Gleiche wie sein Student. »Ist schon etwas merkwürdig, dass sich Ihr Freund überhaupt nicht meldet, Max!«
»Er ist ja auf der Rikscha unterwegs. Vielleicht hat er Kundschaft – eine lange Tour, da kann es schon sein, dass man das Handy ausmacht.«
»Sie meinen, er findet hier einen Schädel und geht dann ungerührt arbeiten?«
»Bitte«, Max zuckte entnervt mit den Schultern. »Sie jetzt nicht auch noch! Ich weiß ebenso wenig wie Sie, was ich davon halten soll.«
Bronstein telefonierte nicht mehr, sondern redete auf ihren Chef ein. Hesse sah kurz zu Max herüber, nickte leicht und wandte sich wieder anderen Mitarbeitern zu. Die junge Kripobeamtin trat zu Max und dem Professor.
»Sie können jetzt gehen. Eventuell setzen wir uns mit Ihnen in Verbindung. Sie sich bitte auch mit uns, falls Ihnen noch etwas Sachdienliches einfällt. Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
Sie meinte beide, sah aber nur Max an. An vorderster Spitze ihrer kühn geschwungenen Adlernase hing hartnäckig ein kleiner Tropfen. Wasser, hoffte Max. So oder so, irgendwie niedlich.
Was starrt der so auf meine Nase, dachte Bronstein. Ich weiß selbst, dass das ein Riesenzinken ist, aber etwas diskreter dürfte man schon sein, wenn man Manieren hat! Unwillkürlich klang ihre Stimme wesentlich härter als beabsichtigt, als sie sich jetzt verabschiedete: »Und falls Sie irgendwie Kontakt zu Oleg Wolff aufnehmen können – er soll sich umgehend bei uns melden! Auf Wiedersehen.«
Damit ließ sie die beiden Männer stehen.
Der Professor räusperte sich vernehmlich. »Hätte ich das geahnt, wäre ich mit dem Seminar heute lieber ins Hamburg-Museum gegangen!«
»Da waren wir schon alle. Außerdem behauptet Professor Straschitz immer: Das Leben ohne Leben ist kein Leben!«
»Ein Schwätzer, dieser Straschitz!« schmunzelte der Professor.
Max grinste zurück. »Hätten Sie mal früher zugeben sollen – dann wäre ich vorhin im Bett geblieben.«
»Nein, das
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