Der Rikschamann
Oder wenigstens das, was Pieter davon preisgab. Das nervte, aber leider waren alle Frauen so drauf, mit denen er jemals zusammen gelebt hatte. Deswegen besaß er ja auch sein kleines Geheimnis, das Penthouse in der Hafencity. Irgendwo musste man doch mal privat sein dürfen! »Man wird zum Lügen gezwungen«, murmelte er vor sich hin, mit dem Löffel unentschlossen den Espresso umgrabend. Längst kalt, die Plörre. Espresso, Latte Macchiato, Cappuccino. Alles Mist. Wer braucht das? Einfach Kaffee, schwarz, reicht doch! Früher, seine erste eigene Bude, keine dreißig Quadratmeter, zwei Zimmer in Barmbek-Nord, Kaffeemaschine für zehn Mark vom Flohmarkt – morgens mit dickem Schädel von der Piste nach Hause, Wasser rein, Filtertüte rein, Kaffee rein, anschalten und durchlaufen lassen, fertig. Ein Pott Kaffee ohne Schnickschnack, das wär’s jetzt. Bestimmt konnte das De-Longhi-Teil das auch. Das Ding hatte ein Vermögen gekostet, aber er war leider zu blöde, um es zu bedienen. Und deswegen Elena zu rufen, war zu riskant. Nachher fing sie doch noch mit dem Verhör an, und bevor Pieter sich dieser Gefahr aussetzte, müsste er erst mal herausfinden, was es überhaupt zu gestehen gab.
Anscheinend hatten sie es gestern Nacht ein bisschen mit den Drogen übertrieben. Außer Alk in etlichen Variationen gab es zwar nichts im Penthouse, aber vielleicht hatte das Mädchen irgendwas dabei gehabt. Nastja. Diese jungen Hühner pfiffen sich ja jeden Scheiß rein. Und so, wie die aussah, hatte er ihr wahrscheinlich alles aus der Hand gefressen. Oder aus dem Bauchnabel geschlürft. Pieter stand plötzlich klar vor Augen, wie dieser Bauchnabel ausgesehen hatte. Sogar in seinem derzeitigen, desolaten Zustand stimulierte ihn diese Fantasie. Er müsste unbedingt herausfinden, wo die Kleine abgeblieben war. Schon, um ein da capo anzuleiern. So ging das schließlich gar nicht. Supertrottel, ärgerte sich Pieter – wozu vögelt man das geilste Teufelchen auf Erden, wenn man sich hinterher nicht mal daran erinnern kann?
Zeit für Action. Ächzend schob er sich vom Tresenhocker, die halbleere Espressotasse ließ er einfach stehen. Wie in allen anderen Räumen der Villa hing auch in der Küche ein Telefon, und nachdem sich Pieter ein Taxi bestellt hatte, ging es ihm schon beträchtlich besser. Einfach gut, wenn man einen Plan abarbeiten konnte. Erst mal im Penthouse nachgucken. Vielleicht lag da ja ein Zettel von Nastja. Oder sie hielt sogar noch das Bett warm… Und wenn nicht, würde er später bei Rufus im »Hell on Earth« vorbei schauen. Ach ja, und den BMW durfte er nicht vergessen. Der stand bestimmt noch in der Tiefgarage – Pieter erinnerte sich jetzt genau daran, den Wagen dort letzte Nacht geparkt zu haben.
Es klingelte. Das Taxi? Ganz schön fix, staunte Pieter und ging zur Haustür. Elena stand schon am Monitor der Überwachungskamera und betätigte den Summer des Eingangstores. »Nur ein Kurier«, warf sie ihm zu und öffnete die Haustür. Der Kurier händigte ihr einen großen Umschlag aus, ließ sich die Ablieferung quittieren und trollte sich wieder. Elena warf nur einen kurzen Blick auf die Anschrift und reichte den Umschlag an Pieter weiter.
»Für dich.«
»Garantiert von der Produktion…« Die Firma, die seine TV-Show »Go West« produzierte, schiss ihn fast täglich mit Memos, Konferenzprotokollen und anderen nutzlosen Nachweisen ihrer Existenzberechtigung zu. Am Ende wurde sowieso nur gemacht, was Piet West ansagte. »Bis mein Taxi kommt, guck’ ich das eben durch. Bin dann mal im Büro.«
Als sich die Tür seines Arbeitszimmers hinter ihm schloss, schien sich erstmals an diesem Tag etwas in seiner Brust zu lösen. Endlich durchatmen! Pieter Westheims Büro sah nicht aus wie die Heimat eines Popstars. An seinen Beruf als Musiker erinnerte hier nur eine Wand voller Gold- und Platinscheiben, Trophäen seines wirtschaftlichen Erfolges. So sah er es selbst: Geld ist der Gradmesser für Erfolg, und Erfolg ist planbar. Mit Musik genauso wie beim Management jedes beliebigen Wirtschaftsunternehmens. Und Erfolg ist erst dann Erfolg, wenn man ihn sehen kann. In Pieters 60-Quadratmeter-Büro war der Erfolg ebenso wenig zu übersehen wie in allen anderen Räumlichkeiten der Westheim-Villa. Vor einer Panoramascheibe mit Blick auf den parkähnlichen Garten stand ein dunkel gemaserter Schreibtisch aus Edelhölzern, passend zur restlichen Einrichtung. Pieter flätzte sich in den schweren Schreibtischsessel und genoss das
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