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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schroeter
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nach der Währungsunion das Doppelte wert! Jedenfalls, wenn man nach der Euro-Preisentwicklung geht…«
    Oder: »Eine wirklich antike Glasscherbe haben Sie da! Würde sagen, Bierflasche. Frühes Holsten.«
    Max arbeitete sich grinsend weiter durch den Schlick. Was für ein Schnacker, der alte Straschitz. Aber Ahnung hatte er, und von seiner Begeisterung für das historische Hamburg ließ sich Max gerne mitreißen. Sich selbst in einer Reihe von Menschengenerationen zu sehen, die in dieser Stadt gelebt hatten wie er, empfand Max als angenehme Vorstellung. Je lebendiger ihm das Leben dieser Menschen vor Augen stand, desto besser. Es half ihm dabei, sich selbst und seine Zeit nicht zu wichtig zu nehmen. Er ackerte heute auf der Rikscha Touristen durch die City, und vor hundert Jahren wuchteten Vierländer Bauern Gemüsekisten per Handkarren vom Kahn zum Hopfenmarkt. Alles in allem kein großer Unterschied. Alle wollten doch nur ein bisschen Glück und ansonsten in Ruhe gelassen werden…
    Max peilte hoch zur Holzbrücke, die natürlich schon seit Urväterzeiten eine Brücke aus Stein war. Das Gelbe Ungetüm stand noch an Ort und Stelle, diebstahlsicher mit einem massiven Bügelschloss ans Geländer gekettet. Bald müsste Oleg auflaufen. Hoffentlich bricht der hier keine großen Debatten vom Zaun, dachte Max. Irgendwann würde man reden müssen, aber nicht jetzt! Er schob alle Gedanken um Oleg und die Rikscha beiseite und konzentrierte sich erneut auf die Suche. Wäre nett, irgendetwas zu finden, was die Vergangenheit noch greifbarer macht als Straschitz’ Vorträge. Einen Pfeifenstummel vielleicht, dem Schutenschipper beim Anlegemanöver aus dem Mund gefallen. Oder den Henkel des Grogbechers, mit dem ein Vierländer Gemüsebauer etwas zu heftig auf den Feierabend eines besonders umsatzträchtigen Markttages angestoßen hatte…
    Vielleicht bringt es was, wenn ich dicht bei der Brücke suche, überlegte Max. Die steht da schon ewig. Wie viele Leute haben sich schon besoffen zu weit über dieses Geländer gelehnt und was verloren? Haustürschlüssel, Geldbörse, Brille, Gebiss? Nicht, dass er scharf wäre auf Gebrauchtzähne von Anno Tobak. Aber einen Versuch wäre es wert.
    Unter der Brücke stank es noch ärger als auf dem freien Fleet. Vielleicht fühlte man sich im Dämmerlicht unter den Brückenbögen einfach nur gefangen wie in einem Gruftgewölbe, gleichsam eingeschlossen mit den Ausdünstungen des Morasts. Wahrscheinlich hatten die anderen Studenten dieses Terrain genau deshalb bislang – bewusst oder unbewusst – vermieden. Max bückte sich und überprüfte den Untergrund am Brückenrand, ohne etwas Ungewöhnliches zu entdecken. Dann nahm er sich den Mittelpfeiler vor, der trotz Ebbe noch in einer tiefen, trüben Wasserlache stand. Eine Taschenlampe wäre jetzt nicht schlecht, dachte Max. Da lag doch etwas im Wasser – und bewegte es sich?
    Er stakste durch den Sumpfboden hinüber zum Pfeiler. In dem Wasserloch dümpelte ein schlammbedecktes Bündel.
    Eine Tasche?
    Max erkannte einen Trageriemen, befestigt an Karabinerhaken. Besonders antik kam ihm das schon mal nicht vor. An den Stellen, die nicht vom Modder bedeckt waren, glänzten die metallenen Haken wie neu. Max schob seine kleine Schaufel unter den Riemen und hob das Bündel an – es quiekte schrill, ein dunkler Schatten sprang ihm entgegen! Geschockt ließ er das Bündel fallen und starrte dem davonrasenden Schatten nach, der am Ufer in einem Loch in der Spundwand verschwand. Eine Ratte!
    Max hörte sein Herz pochen und atmete tief durch. Ein schneller Blick in die Runde: Weder die Kommilitonen noch der Professor hatten die kleine Horroreinlage registriert. Max würde darüber kein Wort verlieren. Straschitz hatte ja ausdrücklich die Ratten erwähnt, und auf weitere professorale Anmerkungen zu dem Thema konnte Max gut verzichten. Aber das Bündel würde er sich angeln.
    Jetzt erst recht.
    Er hakte die Schaufel erneut unter den Riemen und fischte das Bündel aus dem Wasser. Ein Matchbeutel, schwerer als gedacht, wahrscheinlich voll Schlamm und Dreck. Voll Ratten wohl kaum noch, aber etwas Rundes zeichnete sich unter dem Leinenstoff ab. Ein Ball vielleicht…
    »Max! Bist du da?«
    Oleg, unverkennbar. Max hielt den triefenden Beutel auf Armlänge von sich und trat aus dem Schatten der Brücke. Oben neben der Rikscha beugte sich sein Freund, Mitbewohner und Kompagnon weit übers Geländer.
    »Ey, du Schlickrutscher – ich brauch’ das

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