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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schroeter
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wären Sie ganz sicher nicht.« Der Professor schüttelte den Kopf, jetzt wieder ernst. »Dafür sind Sie viel zu neugierig. Und viel zu interessiert an Gelegenheiten, etwas Neues zu erfahren.«
    »Danke für die Blumen.«
    »Es ist tatsächlich kein Zufall, dass ausgerechnet Sie die Tasche mit dem Schädel gefunden haben! Sie beherrschen nämlich das logische Denken, Max. Bestimmt haben Sie darauf spekuliert, dass man in unmittelbarer Brückennähe die meisten Sachen finden kann, die oben aus Versehen oder mit Absicht übers Geländer gehen?«
    »Das liegt doch auf der Hand.«
    Straschitz nickte befriedigt. »Ja. Aber nicht für jeden.«
    »Die anderen waren bestimmt nicht scharf darauf, sich die Füße mehr als nötig nass zu machen!« nahm Max seine Kommilitonen in Schutz. »Um die Brückenpfeiler herum stand reichlich viel Wasser!«
    »Sie besitzen den Forscherdrang«, konstatierte Straschitz unbeirrt. »Sie wissen, was Sie wollen!«
    Wenn du wüsstest, dachte Max.
    Straschitz zog fröstelnd den Kragen seiner Regenjacke enger zusammen. »Haben Sie jetzt noch etwas Besonderes vor?«
    Max schüttelte den Kopf.
    »Kommen Sie mit«, schlug der Professor vor. »Ich wohne in der Schlüterstraße, gegenüber der Mensa. Ich würde mich gerne ein wenig mit Ihnen unterhalten. Außerdem könnten wir, schätze ich, beide ganz gut einen heißen Kaffee vertragen! Und dann hätte ich da noch einen Single Malt für ganz spezielle Tage – einen 21-jährigen Lagavulin von der Isle of Islay.«
    »Kleine Exkursion in die Getränkekunde«, grinste Max. »Bin dabei!«
    »Am Besten, wir gehen bis zum Jungfernstieg und nehmen die U-Bahn«, entschied der Professor.
    Sie entfernten sich ohne einen Blick zurück auf die Brücke, die Einsatzfahrzeuge oder die abgesperrte Stelle hinter dem Flatterband. Straschitz schien völlig in sich versunken, und auch Max schwieg, während sie ihren Weg über die Willy-Brandt-Straße, quer über den Hopfenmarkt und durch das Gewirr kleiner Straßen hinter dem Rathaus nahmen. Zwischen Mönkebergstraße und Alsterarkaden schob sich die gut gekleidete Klientel des Langen Samstags durch die Einkaufspassagen. Mit seiner regendurchweichten Strickmütze, dem nicht minder nassen Parka und der geschulterten Tasche, aus der die schlammverkrusteten Gummistiefelschäfte ragten, wirkte Max ebenso wie der Professor in seiner betagten Regenjacke zwischen den Scharen von Lifestyle-Powershoppern reichlich deplaziert. Immerhin verschaffte ihnen ihr rustikaler Aufzug Sitzplätze in der ansonsten drangvoll besetzten U-Bahn. Dafür sorgte schon der Fleetschlamm an den Schuhen und an ihrer Kleidung, der sich im aufgeheizten Waggon langsam erwärmte und kotigen Gestank verbreitete. Max war froh, dass sie die Bahn schon nach zwei Stationen an der Hallerstraße wieder verließen. Hinter ihnen atmeten die Mitreisenden erleichtert durch und rissen etliche Fenster auf.
    Nach kurzem Fußmarsch erreichten sie das Haus des Professors, einen imposanten Altbau mit weißer Stuckfassade. Straschitz wohnte im fünften Stock, und es gab sogar einen Lift, dessen enge Kabine sich ächzend in Bewegung setzte und sie in gemächlichem Tempo in die gewünschte Etage baggerte. Max fiel ein, dass er gar nichts über Straschitz’ private Verhältnisse wusste. Vielleicht fiel gleich eine penible Hausfrau in Ohnmacht, wenn er sich in seinen Exkursionsklamotten an den Tisch setzte!
    »Ich hoffe, ich störe nicht jemanden mit meinem Besuch?« erkundigte er sich.
    Straschitz winkte ab. »Ich lebe allein, also keine Hemmungen, Junge!« Der Fahrstuhl hielt, Straschitz öffnete die Kabinentür und ließ Max den Vortritt. »Erste Tür links.«
    Eine Doppelflügeltür mit schmalen Sichtgläsern, aufwendig verziert mit Jugendstilornamenten. Max steuerte gerade darauf zu, als ihn eine Stimme hinter seinem Rücken stoppte.
    »Na so was. Der Rikschamann?«
    Überrascht fuhr Max herum. Im halbdunklen Treppenhausflur stand ein großer Reisekoffer, und darauf saß ein Mädchen: Die ausladende Figur heute unter einem knallgrün karierten Schlabberpulli nur unzureichend versteckt, die ohnehin zottelige Straßenköterfrisur vom Regen verklatscht und in den grünen Augen eine bange Entschlossenheit.
    Professor Straschitz zog ein Gesicht, als sei ihm ein Experiment missglückt. »Elke?«
    Sie straffte sich und blickte ihm offen ins Gesicht.
    »Hallo, Papa.«
    Mit wuchtigen Tritten trieb Oleg die schwere Rikscha bergan. Bei jedem Tritt spürte er, wie sich das

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