Der Rikschamann
Folterknecht.
»Das ist nicht alles«, setzte Oleg nach. »Ich will eine Anzahlung. Sofort. Was hast du hier?«
»Weiß nicht«, mauerte Pieter, »so vier-, fünftausend vielleicht…«
Die Faust traf ihn völlig unvorbereitet. Er fiel zurück in den Schreibtischstuhl und hielt sich wimmernd die Nase.
Oleg stand wieder da, als hätte er sich gar nicht bewegt. »Zehntausend wären besser. Sehen wir doch gleich nach. Bevor ich die Geduld verliere.«
Pieter presste ein Taschentuch auf die blutende Nase und öffnete einen Schreibtischflügel. Ein kleiner, eingebauter Safe kam zum Vorschein, in dessen Display Westheim mit zittrigen Fingern einen Code tippte. Interessiert beugte sich Oleg vor und überzeugte sich, dass der Popstar dem Safe wirklich sämtliche Geldvorräte entnahm – zwei volle und ein angebrochenes Bündel Hunderter.
Oleg stopfte die Bündel in seine Jackentasche. »Wie viel ist das?«
»Zwölftausend – vielleicht ein paar Hunderter weniger…«
»Okay, fürs Erste.« Oleg schnappte sich das Foto von Piet West und der toten Nastja vom Schreibtisch und steckte es ebenfalls ein. »Das willst du hier sicher sowieso nicht herumliegen haben.« Er legte zwei Finger an die Stirn und grüßte lässig. »Nicht vergessen: Morgen Abend. Ich melde mich!«
Pieter deutete auf den grausigen Finger und näselte durchs blutige Taschentuch: »Und was ist damit?«
Oleg fuhr noch einmal herum und zischte Westheim so wütend an, dass der erschrocken zurückprallte: »Der bleibt hier! Gestern konntest du doch gar nicht genug von Nastja kriegen!«
Damit ließ er Pieter stehen und eilte aus dem Büro. Was für ein erbärmlicher Wicht, dieser Westheim. Genau richtig, ihn unter Druck zu setzen und um die Kohle zu erleichtern, die ihm unverdientermaßen aus allen Löchern quoll. Genau richtig.
Oleg fand zielstrebig den Weg zurück zur Eingangshalle. Kurz vor der Tür fing ihn die Dame des Hauses ab. Sie trug immer noch ihr Aerobic-Outfit, offenbar nicht nur zur Zierde – feuchte Flecken auf dem Textil zeugten vom gerade absolvierten Training. Sogar der Schweiß stand ihr gut.
»Was ist denn mit meinem Mann?« erkundigte sich Elena neugierig. »Will er nicht mit dir fahren?«
»Nein, nun doch nicht.«
»Tss. Der Mann weiß einfach nicht, was er will.« Sie öffnete Oleg die Haustür und streifte dabei scheinbar unabsichtlich seinen muskulösen Oberkörper. »Du weißt hoffentlich, was du willst?«
Oleg lächelte die Frau kurz an – ein Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. »Das weiß ich genau.«
Er verließ die Villa ohne weitere Worte, ging die Stufen hinab zur Rikscha und schob sich auf den regennassen Sattel. Elena blickte nachdenklich hinterher, wie das Gelbe Ungetüm und sein Fahrer sich über den knirschenden Kies auf der Zufahrt entfernten, bis die neblig graue Gischt ihre Konturen verschluckte.
»Alles frisch?« empfing Horst Straschitz den jungen Mann, der eben mit verwuschelten Haaren das Wohnzimmer betrat.
»Vielen Dank für die Dusche!« Max strich sich eine feuchte Strähne aus der Stirn. Er trug ein frisches Sweatshirt, das er zum Glück morgens noch auf Verdacht in seine Tasche gelegt hatte. Außerdem hatte er den gröbsten Dreck mit feuchtem Toilettenpapier aus der Jeans gebürstet. »Nichts gegen Forscherdrang und vergangene Zeiten – aber die Segnungen der Zivilisation sind auch nicht zu verachten.«
»Dann werde ich die auch mal in Anspruch nehmen.« Der Professor erhob sich etwas schwerfällig von seinem Stuhl. »Und danach suche ich den Whisky. Stand irgendwo hier im Wohnzimmer, weiß ich genau.«
Max sah sich neugierig um. »Ihre Tochter ist schon wieder weg?«
»Nur in der Küche. Kocht Kaffee und mampft wahrscheinlich meinen Schokoladenvorrat weg. Woher kennen Sie Elke eigentlich?«
»Wir sind uns nur mal kurz begegnet«, winkte Max ab. »Ich kenne sie also gar nicht richtig.«
»Tja – ich auch nicht«, versetzte Straschitz und verschwand im Flur.
Merkwürdige Antwort, dachte Max. Aber Straschitz war ja auch nicht gerade ein Typ von der Stange. Alles, was Max bisher von der Wohnung des Professors gesehen hatte, sprach Bände über die originelle Persönlichkeit des Bewohners: Im Badezimmer lag die Seife in einem zerbeulten Hamburger Feuerwehrhelm aus Weimarer Zeiten auf dem WC-Spülkasten, in einem längst ausgedienten Butterfass sammelten sich benutzte Handtücher. Im langen Wohnungsflur hingen alte Pläne aus verschiedensten Entwicklungsepochen der Hansestadt, einige
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