Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schroeter
Vom Netzwerk:
gut informierte Fanclubs – unterwegs ein rascher Abstecher ins Internetcafé, schon hatte Oleg die Adresse recherchiert.
    Er hielt vor dem Tor und spähte zur Villa hinüber, die wie verlassen in der Waldstille lag. Von der Elbe her klagte dumpf ein Schiffs­horn. Ansonsten blieb hier nichts vom Lärm der nahen Millionenstadt. Gekaufte Ruhe, Geld macht’s möglich. Wenigstens hat Nastja vielleicht noch einen Hauch davon gespürt, dachte Oleg. Ich will mehr als einen Hauch. Für uns. Für das, was hätte sein können.
    Er stieg von der Rikscha, drückte auf die Klingel am Portal und wartete. Nie wieder für lächerliches Trinkgeld dummdreiste Touristen durch die City kutschieren. Nie wieder Kleinscheiß, schwor sich Oleg. Das Leben ist zu kurz dafür. Von jetzt an gibt es nur noch mich!
    Es knackte in der Gegensprechanlage.
    »Was gibt’s?« erkundigte sich eine Frauenstimme.
    »Ich möchte zu Herrn Westheim.« War kein Stück gelogen.
    »Ist nicht da«, kam die abweisende Antwort.
    Oleg setzte alles auf eine Karte. »Kann nicht sein. Er hat vor fünf Minuten bei der Zentrale eine Fahrradrikscha bestellt! Und hey – hier bin ich! Rekordzeit bei dem Sauwetter! Lassen Sie mich also bitte vorfahren.«
    Die Frauenstimme schwieg sich aus, dafür zoomte das Objektiv einer Überwachungskamera auf Oleg. Er war sich bereits fast sicher, schon am ersten Hindernis zu scheitern, da summte ein automatischer Mechanismus und das Tor schwang vor ihm auf.
    »Kommen Sie rein mit Ihrer komischen Gurke«, schnarrte die Frauenstimme.
    Erleichtert kletterte Oleg zurück in den Sattel und rollte über knirschenden Kies vor das Entree der Villa. In der offenen Tür erwartete ihn eine rassige Schönheit mit schwarzhaariger Mähne und knallengem Aerobic-Outfit.
    Oleg stieg ab und lächelte freundlich. »Wo ist denn mein Passagier?«
    Die Dame des Hauses ignorierte beides – die Frage und das Lächeln. »Russenjunge«?
    »Wolgadeutscher, bitteschön.«
    »Schon gut. Ich bin auch aus dem Osten. Polen.« Sie musterte das Gelbe Ungetüm ungläubig. »Ich bin von Pieter so Einiges gewöhnt, aber das glaubt man ja wohl echt nicht…«
    »Dann müssen wir ihn eben selbst fragen!« trumpfte Oleg auf.
    Sie tippte sich an die Stirn. »Wir schon mal gar nicht. So, wie der heute drauf ist, darfst du das selbst erledigen.«
    Umso besser, dachte Oleg und zuckte gelassen mit den Schultern. Die Frau winkte ihn ins Haus und führte ihn durch weitläufige Korridore zu einer schweren Nussbaumtür. Dort klopfte sie an, ohne zu öffnen.
    »Schatz?«
    Niemand antwortete, also drückte sie die Klinke und öffnete einen Spalt. »Deine Fahrradrikscha ist da!«
    Damit schob sie Oleg kurzentschlossen durch die Tür, die sich hinter ihm sofort wieder schloss. Im Zimmer brannte kein Licht. Im Halbdunkel des diesigen Aprilnachmittags erkannte Oleg einen Mann, der regungslos und mit dem Rücken zur Tür hinter dem wuchtigen Schreibtisch saß.
    Und es roch nicht gut.
    »Herr Westheim?«
    Der Mann hinter dem Schreibtisch zeigte noch immer keine Regung. Als er plötzlich doch zu sprechen begann, klang es fast, als käme die Stimme aus einer Bauchrednerpuppe. »Fahrradrikscha? Was soll der Scheiß? Ich hab’ Sie nicht bestellt!«
    »Weiß ich«, bestätigte Oleg gelassen. »Das war nur mein Türöffner. Damit ich mich mit Ihnen unterhalten kann.«
    »Ich habe aber keine Sprechstunde! Verpiss dich!«
    »Erst, wenn wir uns über Nastja unterhalten haben!«
    Pieter fuhr auf seinem Schreibtischstuhl herum und sah sich den ungebetenen Besucher genauer an: Jung, muskulös, untersetzt und so viel Gel im Haar, dass die Brikettfrisur sogar nach Dauerregenbeschuss die Form bewahrte. Der Russendiscotyp aus dem »Hell on Earth«. Nastjas Bekannter. So was wie ein Cousin um fünf Ecken, hatte sie gesagt. Sogar der Name fiel Pieter plötzlich ein: Oleg. Wir melden uns noch heute – so stand es in dem Brief, der noch immer vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Pieter hatte die bedrohliche Botschaft, das Foto und den Leichenfinger lediglich mit dem großen Briefumschlag abgedeckt. Wir melden uns. Jetzt war es anscheinend soweit.
    »Was wollt ihr?« Pieter gelang es nicht, das leichte Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken.
    Wieso »ihr«, wunderte sich Oleg, ging aber nicht weiter darauf ein. Solange ihn hier keiner rausschmiss oder die Polizei rief, sollte ihm jede Anrede recht sein. Er beschloss, einen Vorstoß zu wagen. »Ich weiß, dass Sie die Nacht mit Nastja verbracht haben. Und

Weitere Kostenlose Bücher