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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schroeter
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Irgendwann käme Morgen. Irgendwann käme Oleg zurück. Bis dahin müsste er wenigstens die Million bereit haben, und sei es nur, um erst einmal weiter Zeit zu gewinnen. Und diesen verdammten Finger loswerden, der immer noch auf dem Schreibtisch lag und dessen knochige Silhouette sich im gnädigen Dunkel nur erahnen ließ…
    »You’re my blood, you’re my bone…«
    Der größte Piet-West-Hit aller Zeiten. Als Klingelton. Sein Handy. Pieter fingerte es hervor und meldete sich knapp. »Ja?«
    »Pieter Westheim?« Eine Stimme wie Donald Duck auf Speed, künstlich verzerrt. »Sie haben unsere kleine Probepackung erhalten?«
    »Was?«
    »Unseren kleinen« – die Stimme lachte gemein – »Fingerzeig.«
    Die schon wieder, dachte Pieter. »Das wisst Ihr doch längst!«
    »Schnauze, du Quatscher!« Das klang verärgert. »Keine Frechheiten! Du sitzt in der Scheiße! Hast du das Foto gesehen? Wir haben noch mehr davon!«
    »Ist ja gut«, zog Pieter demütig zurück. »Schon klar.«
    »Hör gut zu. Morgen Vormittag, Zehn Uhr, bist du mit einer Million Euro in kleinen, unregistrierten Scheinen am Start…«
    »Zehn Uhr? Euer Mann hat mir eben 24 Stunden zugesichert!«
    Einen Moment lang herrschte am anderen Ende verblüfftes Schweigen. »Was für ein Mann?« schnarrte es dann irritiert.
    »Hey, vielleicht einigt ihr euch erst mal, bevor ihr mir Ultimaten stellt!« Pieter bekam wieder etwas Oberwasser.
    »Was für ein Mann?« Donald Duck verlor die Contenance.
    »Ihr wisst nicht mal, wie euer Bote heißt? Oleg nennt sich der Typ. Muskulöser Giftzwerg mit Brikettfrisur! Klingelt’s jetzt? Wiedererkannt?«
    Man hörte Donald schwer atmen. Hechelnd, unecht, verzerrt. »Der ist nicht von uns!«
    »Der will aber auch ’ne Million!« trumpfte Pieter auf.
    »Der hat nichts in der Hand! Wir stellen die Forderungen! Wir haben die Fotos!«
    »Na ja«, meinte Pieter, schon wieder etwas bedrückter, »Oleg hat auch ein Foto. Das, was ihr mir geschickt habt. Er hat es mitgenommen…«
    »Wann war das?« Donald mit Eis in der Stimme. Pieter lief es kalt den Rücken herunter.
    »Er ist gerade weg – Viertelstunde, zwanzig Minuten höchstens.«
    »Wir regeln das. Ich melde mich wieder!«
    »Halt, warte – was ist mit diesem Finger? Und wo… was ist mit dem toten Mädchen? Liegt die etwa noch da – in meinem…«
    Das verzerrte Lachen klang diesmal hämisch. »Arsch auf Grundeis, Piet? Mach’ schon mal die Million klar!«
    Aufgelegt. Pieter lauschte noch für einen Moment in die tote Leitung, dann steckte er das Handy weg. In seinem Kopf jagten sich die Gedanken. Noch ein Erpresser. Hieß das jetzt, er müsste doppelt blechen? Oder gar nicht? Irgendwie war nichts mehr unter Kontrolle. Die ganze Welt schien aus den Fugen geraten zu sein. Alles innerhalb von ein paar lächerlichen Stunden auf den Kopf gestellt. Was für ein beschissener Tag.
    Und er war noch nicht zu Ende.

6.
    Allmählich fühlten sich die Hosenbeine wieder einigermaßen trocken an. Von seinem Stehplatz am Fenster aus hatte Oleg nicht nur die draußen abgestellte Rikscha gut im Blick, sondern auch eine große Pfütze auf dem Fußweg, in der das Licht aus dem Fastfood-Restaurant reflektierte. In der Pfütze tanzten kaum noch Blasen, der Regen ließ nach. Gut so. Oleg rührte eine Extraportion Zucker in den halbvollen Kaffeebecher. Im Burger King am Blankeneser Bahnhofsplatz herrschte reges Treiben. Jede Menge schnöseliges Elbvororte-Jungvolk warf hier schnell eine Runde pappiger Buletten ein, bevor es in die S-Bahn und in die Innenstadt weiterzog. Samstagabend, der Wochentag mit Amüsierzwang. Die ganze Woche brav Tennis, Golf und Gymnasium, aber Samstagabend zum Grölen auf den Kiez. Ganz viel Alkohol, und vorher noch ein paar Burger, damit man was zu kotzen hatte. Das war cool und ein bisschen verrucht und riskant. Am Montag konnten sie dann erzählen, sie hätten echte Nutten gesehen und vielleicht sogar einen Messerstecher. Wahrscheinlich kamen sie sich sogar selbst ein bisschen gefährlich vor. Samstagabendgangster, gepampert mit Papis Geld.
    Unwillkürlich langte Oleg an seine Jackentaschen und befühlte die dicken Geldscheinbündel. Ein gutes Gefühl. Hier ist garantiert im ganzen Laden niemand, der gerade mehr Kohle dabei hat als ich, überlegte Oleg und grinste in sich hinein. Hier sind jede Menge Typen, die verfügen über Geld – aber es ist nicht ihr eigenes. Sie halten sich für cool und stark – aber sie sind es nicht. Ich bin stark, und was erst in

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