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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schroeter
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abmühte. »Ja?«
    »Ich möchte bitte Rufus sprechen«, kam Elena gleich zur Sache.
    »Ist nicht da!« schrie es zurück.
    »Wann kommt er denn?«
    »Weiß nicht. Vielleicht heute gar nicht, oder erst…« der Rest ging in einem hämmernden Techno-Gewitter unter.
    Elena sparte sich die Mühe einer Verabschiedung, drückte die Trenntaste und hängte das Telefon zurück in die Wandhalterung. Es gab bestimmt für alles eine harmlose Erklärung. Es gibt immer eine harmlose Erklärung. Das kalte Ziehen in Elenas Magengrube, mit dem ihr Instinkt gegen derartige Beruhigungsrhetorik rebellierte, ließ sich damit nicht besänftigen. Blöd, dass sie nicht in Pieters Büro kam. Schlösser knacken gehörte leider nicht zu ihren Talenten. Die Fenster! fiel es ihr plötzlich ein – deren Schlösser konnte sie zwar auch nicht überwinden, aber man könnte von draußen in den Raum hinein sehen…
    Elena schnappte sich die dicke Maglite, die für Notfälle griffbereit in einer Küchenschublade lag, trat hinaus auf die Terrasse und atmete erst mal tief durch. Es tropfte noch schwer von den Sträuchern und Bäumen, aber der Regen hatte aufgehört und es roch nach Nacht und Erde. Fröstelnd schob sich Elena an der Hauswand entlang. Mit ihrer dünnen Bluse war sie für Outdoor-Aktivitäten nicht gerade optimal angezogen. Egal, dachte sie. Da ist das große Fenster hinter Pieters Schreibtisch. Alles offen, freie Sicht bis zum Mittelmeer. Elena presste ihr Gesicht an die Scheibe, schirmte es mit einer Hand ab und tastete sich mit dem Leuchtstrahl der Maglite durchs Büro. Der wandernde Lichtpunkt stanzte Momentaufnahmen aus der Finsternis: Ein Stück Regal, ein paar Buchrücken, ein Aktenschrank mit geschlossenen Schubladen – reflektierte dann auf Platin- und Goldscheiben, den Trophäen an der Wand, strich über Teppichflor und den leeren Schreibtischsessel. Hier hatte Pieter stundenlang gesessen. Systematisch leuchtete Elena den Schreibtisch ab, Zentimeter für Zentimeter. Alles ordentlich aufgeräumt, auf der Tischfläche lagen nur ein paar Papiere in einem Metallkörbchen und der übliche Kram wie Stifte und Brieföffner, alles in den dafür vorgesehenen Ablagen. Nichts, worüber man sich aufregen müsste.
    Das Ziehen in der Magengrube legte sich etwas. Elena knipste die Lampe aus und trat einen Schritt zurück. Dabei rutschte ihr der Fuß weg, sie stürzte, riss reaktionsschnell die Arme nach vorn und landete mit beiden Handflächen voran in einer schmierigen Masse. Panisch tappte Elena nach der Maglite, die ihr beim Sturz entglitten war, fand sie und knipste die Lampe mit glitschigen Fingern an: Sie kniete in einer Lache Erbrochenem, ausgelaufen aus einem danebenliegenden, umgekippten Papierkorb. Eine Nanosekunde nach dieser Erkenntnis erhöhte Elena würgend den Füllstand der Ekelpfütze mit dem Inhalt ihres revoltierenden Magens.
    Gut für die Figur, schoss es ihr durch den Sinn.
    Im Hirschpark tropfte es noch schwer von den Sträuchern und Bäumen, aber der Regen hatte aufgehört. Es roch nach Nacht und Erde. Max schlich sich über den unbeleuchteten, schmalen Seitenweg am »Witthüs« vorbei. Unter dessen weit herabgezogenem Reetdach brannte kein Licht mehr, das Café war für heute längst geschlossen. Vor seinem Tod im Jahr 1959 hatte Hanns Henny Jahn im »Witthüs« gewohnt, fiel Max ein. Dichter und Orgelbauer. Verfechter und Anhänger eines speziellen Totenkults, der vorsah, den Leichnam möglichst lange vor Verwesung zu schützen und deshalb im Bleisarg zu bestatten. Max hatte mal irgendwo den Bericht eines Zeitzeugen gelesen, der drastisch beschrieb, wie schwitzende Sargträger fast an dem Unterfangen gescheitert wären, das sauschwere Bleimöbel mit der Künstlerleiche über die enge Treppe aus dem Dachgeschoss des Reetdachhauses zu hieven. Nur blöd, dass ihm das gerade jetzt einfiel. An Särge wollte er jetzt eigentlich nicht unbedingt denken.
    Hoffentlich tauchte Oleg bald auf. Und hoffentlich spielte es keine Rolle, dass das Taxi schon wieder weg war. Der Fahrer hatte Max zwar zügig zum Hirschpark-Eingang am Mühlenberg gefahren, es dann aber abgelehnt, dort für unbestimmte Zeit auf seinen Passagier zu warten. Es musste eben so gehen. Vor sich sah Max jetzt die Konturen eines weiteren Gebäudes. Das Hirschpark-Haus. Spätes 18. Jahrhundert, examinierte sich Max, um die flatternden Nerven zu beruhigen. Typisch klassizistisches Pfeffersack-Landhaus. Mittlerweile kulturell genutzt und unbewohnt. Leider. Ein paar

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