Der Rikschamann
schaffe ich es nicht, dachte er und verbiss sich ein Stöhnen. Zu Fuß komme ich auch nicht weit. Ich brauche Hilfe, aber nicht von irgendwem…
Es gab nur einen Menschen, dem Oleg blind vertraute. Trotz allem. Er nestelte sein Handy heraus, stellte es an und bekam gerade noch rechtzeitig eine Hand übers verräterisch aufleuchtende Display. Dann drückte er eine Festtaste.
Geh ran, betete er innerlich. Da meldete sich Max’ Stimme.
»Oleg?«
»Max, hör’ genau zu!« zischte Oleg so leise, aber auch so eindringlich wie möglich ins Telefon. »Komm sofort mit einem Taxi zum Hirschpark! Lass das Taxi vor dem Eingang Mühlenberg warten und geh zum Hirschparkhaus. Davor wartest du – aber bleib bloß irgendwie in Deckung, unbedingt, hörst du…«
»Was ist los, Mann?«
»Komm einfach, Max! Wie lange brauchst du?«
»Halbe Stunde?«
»Zwanzig Minuten! Ich sitz in der Scheiße…«
Oleg drückte die Verbindung weg, aktivierte die Stummschaltung und hob den Kopf. Wo waren die Verfolger jetzt? Da blendete ihn der grelle Lichtstrahl frontal ins Gesicht – aus allernächster Entfernung.
»Da hast du dich also verkrochen!«
Bevor Oleg reagieren konnte, fühlte er sich von schweren Händen gepackt und unsanft hochgezogen, wobei ihm der Schmerz durch den geschundenen Leib raste. Trotz des grellen Lichts tanzten ihm schwarze Punkte vor den Augen.
»Wer kommt in zwanzig Minuten? Sag’ schon!«
Du kannst mich mal, hätte Oleg gern geschrieen. Aber da schwanden ihm schon die Sinne.
»Oleg?«
Max kroch fast ins Handy und hielt sich das freie Ohr mit der Hand zu, um den Verkehrslärm auszublenden. Alles vergeblich, Oleg hatte aufgelegt. Max gab es auf und steckte das Handy ein.
»Und?« fragte Elke gespannt. »Das war er doch, oder?«
Sie standen vor dem Dammtorbahnhof, durch dessen Wandelhalle sie gerade hatten abkürzen wollen, als sie der Anruf stoppte. Bis dahin war Max der kleine Ausflug trotz aller Beunruhigung wie ein netter Abendspaziergang vorgekommen. Das war nun vorbei. In ihm verhärtete sich etwas zu Eis und drückte als kalter Klumpen auf seinen Magen. Oleg manövrierte sich zwar öfter in die Scheiße, aber in der Regel nahm er das locker. Soviel Panik wie eben hatte Max noch niemals in der Stimme seines Freundes wahrgenommen.
»Was wollte er?« hakte Elke ungeduldig nach.
Max riss sich zusammen und drückte die eigene Angst weg. Wenn Oleg durchdrehte, müsste er erst recht kühlen Kopf bewahren. Zunächst mal galt es, so schnell wie möglich ein Taxi aufzutreiben. Hier am Bahnhof standen eigentlich immer welche.
»Ich muss sofort zu ihm«, wandte er sich an das Mädchen.
»Okay, los geht’s – wo ist er?«
»Ich muss allein weiter, Elke. Wir sehen uns.«
Er reckte sich und entdeckte einige Taxen auf dem Parkplatz bei der Tankstelle, gleich dem Bahnhof gegenüber.
»Sag’ doch wenigstens, was…«
Max wartete ihren Einwand nicht ab, sondern spurtete los und schaffte gerade noch die letzte Grünphase der Fußgängerampel, bevor hinter ihm der Verkehr über den Theodor-Heuss-Platz brandete. Elke sah ihm enttäuscht nach, bis seine schlanke Gestalt hinter einem XXL-Gelenkbus der Linie 5 verschwand.
7.
»Mach endlich auf, Pieter!« Elena klopfte zaghaft an die Tür des Arbeitszimmers. Drinnen wurde die Musik noch lauter gestellt. Auch eine Antwort. Iron Butterfly, »In-A-Gadda-Da-Vida«, erkannte Elena. So etwas hörte Piet sonst nie. Elena schon gar nicht, das war weder ihre Generation noch ihr Stil. Trotzdem oder gerade deshalb fühlte sie sich doppelt ausgeschlossen.
»Dann nicht«, gab sie es schulterzuckend auf. Hoffentlich wachte wenigstens der Kleine nicht von dem Krach auf. Die meiste Zeit hatte sich heute die Kinderfrau um Sascha gekümmert, Frau Müller – eine ebenso gutmütige wie strapazierfähige Endsechzigerin, ehemalige Kinderkrankenschwester. Elena achtete darauf, kein allzu jugendliches Hauspersonal zu beschäftigen. Jedenfalls kein weibliches. Die Müller interessierte sich nur für Männer, solange sie noch Windeln trugen – und dass sich Männer für die Müller interessierten, konnte man sich schlechthin kaum vorstellen.
Jetzt hatte Frau Müller allerdings längst Feierabend. Und das bedeutete, wenn der Kleine aufwachte, müsste Elena ran. Sie liebte ihren Sohn, doch wenn Sascha wach wäre, nähme er sie sofort mit der egomanischen Selbstverständlichkeit aller Säuglinge völlig in Beschlag. Das söge ihr die letzten Kräfte aus dem Hirn, und das ginge jetzt gar
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