Der Rikschamann
nicht. Sie musste unbedingt nachdenken.
Elena ging in ihr privates Badezimmer, zog sich Hose und Slip herunter, setzte sich auf die Toilette und presste. Es kamen nur ein paar gequälte Tropfen. Nach ihrem Aerobic-Workout hatte sie sich zwar geduscht und umgezogen, sich aber nur ein halbes Glas Wasser genehmigt. Irgendwie musste sie die paar Pfunde noch abkochen, die seit Saschas Geburt hartnäckig an diversen Stellen ihrer Figur klebten. Der Verstand sagte ihr, dass eine Gewichtsveränderung nach einer Schwangerschaft eine ganz normale Angelegenheit sei – zumal bei einer Frau jenseits der Dreißig. Ihr Instinkt hielt dagegen, dass sie sich dergleichen einfach nicht leisten konnte. Nicht mal der Russenjunge vorhin hat auf meine Signale reagiert, dachte Elena resigniert. Früher hätte so ein Typ alles versucht, um mich zu vernaschen, wenn ich ihn so ermutigt hätte.
Der Mann von der Telefongesellschaft hatte immerhin vor ein paar Tagen ganz schön geglotzt, als sie im schärfsten Tanga hüftschwingend vom Pool zurück ins Haus gekommen war, wo der Telefonheini gerade am Netzwerk rumbastelte. Der Postbote sah allerdings konsequent an ihr vorbei, wenn sie ihm mit weit aufgeknöpfter Bluse die Tür öffnete. Wahrscheinlich schwul, versuchte sich Elena zu trösten.
Sie wollte überhaupt nichts von solchen Männern. Nur austesten, ob alles noch so funktionierte, wie sie es gewohnt war. Kleine Reizkontrolle. Sie brauchte das – umso häufiger, je mehr Zweifel sie an ihrer eigenen Wirkung beschlichen.
Sie spülte, zog die Hosen hoch und trat ans Waschbecken. Im Spiegel ihr Gesicht, gnadenlos von einer Reihe Strahler ausgeleuchtet. Nur hier, in ihrem intimsten Refugium, riskierte Elena die Konfrontation mit der ungeschminkten Wahrheit in eigener Person. Elena Westheim, geborene Milewski, 32 Jahre. Ex-Model, Ex-Tänzerin, Ex-Sängerin. So hörte sich das noch ziemlich gut an. Der Spiegel erzählte eine andere Geschichte: Gemodelt für Magazine, bei denen man statt Haute Couture die eigene Haut zu Markte trug. Getanzt in Shows, deren Darsteller mehr Textil auf dem Kopf trugen als am Körper. Gesungen im Background während der Konzertauftritte eines One-Hit-Wonder-Chartstürmers, der mit ein paar knackigen Hupfdohlen auf der Bühne davon ablenken wollte, dass seine besten Tage schon längst hinter ihm lagen. Die Mikrofone, die sie und die anderen Mädels dabei in der Hand gehalten hatten, waren sowieso nie angeschaltet gewesen.
Wenigstens war sie dabei in einem Studio Pieter Westheim über dem Weg gelaufen, gerade als sie ernsthafte Sorgen darüber beschlichen, wie es mit ihr weitergehen sollte. Vier Jahre war das jetzt her, und Elena machte sich mehr denn je Sorgen über die Zukunft. Über ihre Zukunft. Was aus ihrer Sicht auf Ein und Dasselbe hinauskam.
War das da etwa eine graue Strähne im Haar? Nur ein Lichtreflex. Durchatmen. Und wachsam bleiben. In schwarzen Haaren sieht man Grau sofort. Mutter war schon ganz früh weiß. Haare färben gab’s sogar im kommunistischen Polen, aber Mutter hat nie etwas dagegen getan, schrecklich. Elena würde nichts dem Zufall überlassen, solange sie sich dagegen zu wehren vermochte.
Sie knipste das grelle Spiegellicht aus. Schon verschwammen alle Anzeichen von Alter und Auflösung im Weichzeichner der indirekten Deckenbeleuchtung. Man muss nur die Hand am Schalter haben, dachte Elena. Wenn die körperlichen Reize nachlassen, muss man den Verstand einsetzen. Spätestens dann. Mit vier Jahren Dauerbeziehung, zwei Jahre davon als Ehepaar, listete sie als alleinige Zeitrekordhalterin im bunten, von der Klatschpresse stets eifrig dokumentierten Liebesleben des Piet West. Anfangs war zwischen Piet und ihr alles nur ein überdrehtes Spiel aus Begierde, Eitelkeit und Rausch gewesen – eine Dauerparty auf höchstem Niveau. Dann kam das Lebensgefühl, das Elena noch weit mehr anturnte als die Dauerparty zuvor: Sich als Frau an Piets Seite nie mehr um Dinge wie fällige Mieten, kaputte Autos oder leere Kleiderschränke Sorgen zu machen. Sie war nicht blöd. Sie konnte sich auch alleine durchschlagen, das hatte sie schließlich jahrelang bewiesen. Aber so entspannt, so sorglos wie in ihrem ersten Ehejahr hatte sich Elena niemals sonst gefühlt. Das tat so gut.
Umso größer war jetzt ihre Furcht, dies alles zu verlieren. Sicher, sie hatte Sascha. Und solange sie für den Kleinen da sein müsste, würde Pieter auch für sie sorgen. Darüber hinaus war alles vertraglich geregelt. Was dann
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