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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schroeter
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für Elena bliebe, würde nicht lange reichen. Sie musste Pieter um jeden Preis halten, aber er reagierte immer gelangweilter auf ihre Reize. Und Langeweile ertrug Pieter nicht. Von Anfang an war Elena klar gewesen, dass Pieter nie etwas anbrennen lassen würde. Es machte ihr nichts aus. Der Status als Haupt- und Ehefrau genügte ihr vollauf. Doch seit einem Jahr, spätestens seit der Schwangerschaft, ging alles den Bach hinunter. Zunächst in Zeitlupe, doch jetzt kamen die Dinge anscheinend ins Rutschen. Pieter trieb sich immer öfter in seinen angestammten Jagdgründen herum, in Läden wie diesem »Hell on Earth«, alleine natürlich – Elena musste ja bei Sascha bleiben.
    Hinten im Haus knallte eine Tür. Ende der Blockade?
    Elena huschte aus dem Bad und erwischte Pieter gerade noch vor dem Durchgang zur Garage. So, wie er sie ansah, schien er darüber nicht sehr glücklich zu sein. Und seine Nase war ziemlich geschwollen, es klebte sogar noch eine kleine, verkrustete Blutspur daran. Elena wollte ihn schon darauf ansprechen, hielt sich aber zurück. Bloß nicht rumzicken, ermahnte sie sich. Dann wird alles nur schlimmer.
    »Du gehst noch weg?« erkundigte sie sich vorsichtig.
    Pieter nickte nur gehetzt.
    »Wann kommst du denn wieder?« Scheiße, dachte Elena und biss sich vor Ärger fast selbst auf die Zunge. Genau solche Fragen machen ihn nur sauer.
    »Weiß nicht«, murmelte Pieter in sich gekehrt. »Muss los…«
    Er wandte sich ab, ohne sie anzusehen, öffnete die Durchgangstür und war weg.
    Das gibt’s doch nicht, wunderte sich Elena. Der ist überhaupt nicht richtig bei sich. Irgendetwas ist da passiert, zwischen gestern und heute.
    Sie hörte ein entferntes Rollen – das automatische Garagentor – und dann das hochtourige Aufjaulen eines Motors. Pieter nahm den Porsche. Elena wartete ab, bis sich das Tor wieder geschlossen und sich der Wagen entfernt hatte, dann gab sie sich einen Ruck und ging entschlossen zu Pieters Arbeitszimmer. Hier hatte er sich schließlich die letzten Stunden vergraben, hier musste es einen Hinweis auf die Ursache seiner merkwürdigen Stimmung geben. Doch als sie die Klinke drückte, ließ sich die Tür nicht öffnen. Abgeschlossen – das tat Pieter gewöhnlich nie. Ratlos peilte Elena durchs Schlüsselloch, angesichts der Dunkelheit im Zimmer hinter der Tür eine reichlich unergiebige Maßnahme. Immerhin ließ sich erkennen, dass Pieter weder die Rollos heruntergelassen noch die Vorhänge geschlossen hatte. Wahrscheinlich hatte er die ganze Zeit einfach so im Dunkeln gesessen, überlegte Elena, was die ganze Angelegenheit noch gespenstischer erscheinen ließ. Sie wusste überhaupt nicht mehr, was sie davon halten sollte.
    Elena ging grübelnd in die Küche und genehmigte sich doch noch ein weiteres halbes Glas Mineralwasser. Wenn sich das hier zur großen Krise auswachsen sollte, müsste man vorbereitet sein. Zum Glück war sie vorbereitet. Und es wäre an der Zeit, in dieser Hinsicht das Tempo zu forcieren. Sie nahm entschlossen das Telefon von der Wand und wählte.
    »Nikolajewa«, meldete sich schon nach dem ersten Klingeln eine gleichermaßen verängstigt wie hoffnungsvoll klingende Frauenstimme.
    »Mascha? Ist deine Nichte da?«
    »Elena!« Die Frau hörte sich an, als kämen ihr vor Enttäuschung fast die Tränen. »Nastja ist weg! Ist nicht nach Hause gekommen letzte Nacht…«
    Elena verspürte ein dumpfes Ziehen in der Magengrube. Das Wasser war zu kalt, redete sie sich ein, direkt aus dem Kühlschrank. »Hast du sie angerufen?«
    »Handy meldet sich nicht!« Mascha weinte jetzt wirklich.
    »Hast du die Polizei…?«
    »Njet. Du weißt doch, Nastja hat kein Visum…« Sie schluchzte heftig.
    »Wo war Nastja gestern denn unterwegs?« Elena versuchte, in ihrer Stimme möglichst viel Ruhe auszustrahlen. Es gelang ihr nur unvollkommen. »Wollte sie in den Club?«
    »Ja, in den Club! Kannst du mir helfen, Elena? Du kennst so viele Leute…«
    Elena überlegte nur kurz. »Ich höre mich gleich mal um, und dann rufe ich dich an. Und, Mascha, mach’ dir nicht zuviel Sorgen – Mädchen mit Fünfzehn…«
    »Danke, Elena – vielen Dank!« Das klang etwas erleichtert, doch als sie auflegte schluchzte Mascha immer noch.
    Elena scrollte sich durch das Nummernverzeichnis. Das »Hell on Earth« hatte sie selber hier eingespeichert, schon wegen Pieter. Es dauerte etwas länger, bis sich jemand meldete – eine rauchige Frauenstimme, die sich gegen lärmende Hintergrundmusik

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