Der Rikschamann
Elke wütend ist, funkeln sie. Da lag sie nun und ahnte nicht, dass er sie betrachtete. Vor 48 Stunden hatten sie sich noch gar nicht gekannt, rechnete Max. Jetzt lagen sie hier nebeneinander wie – ja, wie eigentlich?
Er hatte schon Freundinnen gehabt. Nicht halb so viele wie Oleg, aber immerhin. Lange gehalten hatte es nie. Frauen wollten nicht bloß alles teilen, sie wollten vor allem alles mitteilen. Und mitgeteilt bekommen. Darauf ließ sich Max nicht ein. Nicht weil er maulfaul wäre, sondern Wert darauf legte, seine Probleme mit und für sich alleine zu lösen. Also beklagten sich seine Freundinnen schnell, er bliebe ihnen fremd und liebe sie nicht wirklich. Und dann gingen sie, womit sie wahrscheinlich das Richtige taten, vermutete Max. Er selbst fühlte sich alleine auch am Wohlsten. Normalerweise. Hier und jetzt störte es ihn überhaupt nicht, dass Elke neben ihm vor sich hin schnorchelte. Es schien völlig vertraut, absolut in Ordnung zu sein und gab ihm ein Gefühl der Ruhe. So entspannt hatte er sich lange nicht gefühlt. Das hätte er gern noch länger genossen, aber es wurde höchste Zeit, sich auf die Suche nach Oleg zu machen.
Vorsichtig glitt Max von der Matratze, suchte seine Klamotten zusammen und legte sie sich über den Arm. Anziehen würde er sich im Badezimmer, er wollte das Mädchen nicht aufwecken. Elke schnarchte unbeirrt weiter, auch noch, als er sich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer schlich. Im Flur verharrte Max einen Moment und horchte: Vom Professor war noch nichts zu hören. Sonntagmorgen, und die altmodische Standuhr zeigte noch einige Minuten vor Acht an. Freie Bahn.
Max schlich weiter zur Badezimmertür und drückte sie auf: Professor Straschitz thronte mit heruntergelassener Pyjamahose auf der Toilette und las die Wochenendausgabe der »Süddeutschen«.
»Den Sportteil können Sie haben«, verkündete Straschitz gelassen, »ansonsten empfehle ich die Benutzung des Gäste-WC. Übernächste Tür.«
»Tschuldigung!« Max drückte die Tür wieder zu und trollte sich zur Gästetoilette. Sehr peinlich. Nach schneller Katzenwäsche im Handwaschbecken erwog Max, sich einfach aus dem Staub zu machen, solange Straschitz immer noch mit der Morgenlektüre beschäftigt wäre. Doch als er – diesmal angezogen – wieder in den Flur trat, stieg ihm verlockend der Duft frischen Kaffees in die Nase, und in der Küche klapperte jemand mit Geschirr. Max folgte dem Geräusch.
Der Professor hatte gerade das Teelicht eines altmodischen Porzellanstövchens entzündet und fuchtelte das Streichholz aus. Er trug verschlissene Cord-Schlappen und über dem gestreiften Pyjama einen Frottee-Bademantel mit gesticktem Emblem »Hotel Grand Marina – Helsinki«.
»Historiker-Kongress«, tippte Straschitz erklärend auf das Emblem, als Max eintrat. »Nicht dass Sie denken, ich würde klauen. Ich hab’ das Ding bloß irrtümlich eingepackt.«
»Schon klar.«
Einen Moment lang herrschte beiderseits Verlegenheit, die der Professor schließlich als Erster überwand. Er lächelte verschmitzt.
»Wenn man seinen Professor mit heruntergelassener Hose erwischt, gibt’s eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Duzen oder Duellieren!«
Max lächelte zurück. »Sie sind der Ältere. Ich überlasse Ihnen die Wahl der Waffen!«
»Also duzen!« Straschitz streckte die Hand aus. »Horst.«
»Max.« Sie schüttelten sich feierlich die Hand.
»Setz’ dich, Max. Kaffee?«
Max nickte und nahm am Küchentisch Platz, der Professor stellte ihm einen Becher hin – »Hamburger Hafengeburtstag 1987« – und schenkte ein.
»Was ist mit meiner Tochter? Heil und gesund, hoffe ich?«
Sofort fiel Max Elkes blutige Stirn mit dem dicken Pflaster ein. »Mmmh«, machte er verlegen. Straschitz interpretierte das prompt falsch.
»Keine Sorge, Junge«, schmunzelte er amüsiert, »kannst die Einzelheiten für dich behalten! Ich bin sowieso kein Vater, der mit der Schrotflinte vor dem Schlafzimmer seiner Tochter Wache schiebt! Aber erzähl mal – habt ihr deinen Freund Oleg gefunden?«
Max zögerte. Sollte er wirklich alles erzählen? Straschitz war ziemlich chaotisch, aber alles andere als dumm. Möglicherweise fiel ihm sogar etwas Hilfreiches zur Sache ein. Und Elke würde ihrem Vater vielleicht sowieso alles berichten. Also legte Max los und ließ nichts aus – vom Hirschpark bis zur neuerlichen Begegnung mit Kommissar Hesse und Bronstein.
»Ich weiß nicht genau, wie es jetzt weitergeht«, schloss er. »Ich kann nur hoffen,
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