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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schroeter
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Rikscha gerne bis morgen hier auf dem Hof lassen!«
    Max schüttelte den Kopf. »Ich habe noch einen Passagier – komm, Elke.«
    Mit größtmöglicher Grazie ihres fülligen Leibes trat Elke zu Max, hakte sich bei ihm unter und verließ mit ihm zusammen das Revier.
    Das Gelbe Ungetüm parkte zwischen zwei Streifenwagen. Die kühle Nachtluft ließ Max frösteln. Elke registrierte das besorgt.
    »Wir könnten natürlich wirklich ein Taxi nehmen, Max.«
    »Beim Rikschafahren kann ich am besten nachdenken! Außerdem brauche ich sie morgen früh«, lehnte Max ab. »Falls Oleg nicht auftaucht, muss ich mich weiter umhören! Ich fahre dich gerne in die Schlüterstraße. Aber wenn du schnell nach Hause willst, warten wir hier zusammen, bis dein Taxi da ist…«
    Elke saß bereits auf der Rückbank. »Hau rein, Rikschamann!«
    Die ersten Minuten im Sattel empfand Max als üble Schinderei, bis seine Muskeln allmählich wieder auf Betriebstemperatur kamen. Wo es ging, lenkte er die Rikscha wegen des fehlenden Vorderlichts über die Fußwege. Max fiel in einen gleichmäßigen, unhektischen Pedalrhythmus und ließ die Gedanken treiben.
    Osdorfer Landstraße, immer geradeaus, Groß-Flottbek, über den Canyon der A7 hinüber nach Bahrenfeld. Das ist meine Stadt, dachte Max, da kenne ich mich aus. Aber was hier läuft, davon habe ich keine Ahnung. Ich weiß nicht mal, was mit meinem besten Freund los ist. Hätte ich bloß diesen verdammten Beutel im Fleet nicht angerührt! Dann wäre es ein ganz normaler Samstagabend geworden – Sportschau gucken, abends vielleicht noch mit ein paar Leuten aus dem Seminar in die Kneipe gehen. Und jetzt läge ich wahrscheinlich schon im Bett. Mich geht das doch alles gar nichts an! Ich kann gar nichts dafür!
    Heimspieler, tickte es in Max, Heimspieler. Du mit dem Scheck von Papi. Du brauchst gar nichts zu wissen, es geht dich nichts an. Ihn überkam ein Gefühl völliger Ausgeschlossenheit, als hätte ihm die Realität einen Platzverweis erteilt. Ich will es aber wissen! schrie er in sich hinein und trieb die Rikscha mit wütenden Pedaltritten voran.
    »So eilig hab’ ich es gar nicht!« kam es von hinten. Max ignorierte den Protest und arbeitete sich weiter verbissen ab. Elke verkniff sich klugerweise alle weiteren Einwände.
    Erst als sie vor dem Altbau mit der weißen Stuckfassade ausrollten und Max vom Sattel glitt, merkte er, wie erledigt er war. Elke bemerkte es auch.
    »Du bist völlig fertig, Max. Selber Schuld.«
    »Hab’ ich mich beschwert?« grummelte Max – dann knickten ihm die Beine weg. Er konnte sich gerade noch am Lenker abstützen.
    Elke hakte ihn erschrocken unter. »Hey – war nicht so gemeint!«
    »Geht schon«, schüttelte er sie ab und stemmte sich vorsichtig wieder auf die Füße. »Dann mach’s mal gut, Elke…«
    »So fährst du nicht mehr los, Max Harder!«
    »Ach nee? Ich kann ja wohl schlecht in der Rikscha schlafen.«
    »In meinem Bett ist genug Platz. Sogar, wenn ich drin liege.«
    Max zögerte. Andererseits, jetzt noch nach Eimsbüttel… »Und dein Vater?«
    Sie zeigte ihm einen Vogel. »Mach’ dich nicht lächerlich.«
    Mit vereinten Kräften schoben sie das Gelbe Ungetüm neben den Hauseingang und sicherten es mit einem Ringschloss. Noch nie war Max für einen Fahrstuhl so dankbar gewesen wie jetzt – ohne den betagten Lift im Treppenhaus hätte er es kaum in den fünften Stock geschafft. In Professor Straschitz’ Wohnung brannte kein Licht mehr, und als sie leise durch den Flur schlichen, vernahmen sie keinen weiteren Laut als das Ticken einer altmodischen Standuhr. Elke lotste ihren Gast in ein dunkles Zimmer, schloss die Tür und knipste Licht an.
    Als Bett diente eine breite Matratze auf dem Fußboden. Zwischen einem Sammelsurium ausgedienter Möbelstücke stapelten sich auch in diesem Raum der Straschitz-Wohnung Bücherhaufen in unaufgeräumten Regalen. Zwischen den beiden Fenstern stand eine pompöse Jukebox, daneben Elkes Koffer. Trotz seiner lähmenden Müdigkeit musste Max schmunzeln.
    »Dein Jungmädchenzimmer ist das wohl eher nicht?«
    »Mir gehört hier nur der Koffer.«
    Max trat neben das Musikmöbel und studierte das Display. Elke betätigte einen Fußschalter – die Jukebox erstrahlte plötzlich in bonbonfarbenem Neon.
    »Eine Wurlitzer 1015, Jahrgang 1946«, bemerkte sie sachkundig. »Sind sogar noch Schellackplatten drin.«
    »Rock around the clock«, las Max vom Titelverzeichnis ab, »Capri-Fischer. Soll ich mal was

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