Der Rikschamann
reinstecken?«
»Das Teil schluckt nur D-Mark-Groschen.« Elke knipste die Deckenlampe aus, die Jukebox tauchte alles in Pink und Flieder. »Die reinste Puffbeleuchtung!« entfuhr es ihr. Fast sofort war ihr der spontane Kommentar selbst peinlich. Geschäftig öffnete sie ihren Koffer, wühlte ein T-Shirt heraus und reichte es Max. »Pyjama-Ersatz. Was mir passt, müsste bei dir schlottern! Ich geh’ ins Bad. Kannst dich ja schon hinlegen.«
Weg war sie. Max zog sich bis auf die Unterhose aus und betrachtete dann das T-Shirt von Elke näher: Knallrot, auf der Brust ein dämlich glotzendes Schaf mit Heiligenschein und der Überschrift »Unschuld vom Lande«. So tief würde er nicht sinken, nicht mal in halber Bewusstlosigkeit. Max ließ die Bettdecke für Elke liegen, wickelte sich in eine Wolldecke und streckte sich auf der Matratze aus. Er nahm es schon nicht mehr wahr, als Elke zurückkam, die Jukeboxbeleuchtung ausknipste und sich neben ihm ausbreitete.
»Max?«
Keine Antwort, nur regelmäßige Atemzüge. In der Dunkelheit erahnte Elke seine Umrisse. Max lag mit dem Rücken zu ihr. Da war sein Kopf mit den verstrubbelten Haaren, hier lag seine Schulter frei – er hat mein T-Shirt nicht angezogen, erkannte sie, er ist nackt. Zumindest oben herum. Hat das was zu bedeuten? Ist das ein Zeichen? Ein Startsignal? Damit hatte sie keine Erfahrung. Ihr fehlten überhaupt die meisten Erfahrungen, die ihre Altersgenossinnen längst gesammelt hatten, wenn man deren Klatschgeschichten glauben wollte. Jetzt atmete er tief, die Wolldecke verrutschte noch ein Stück. Das kann kein Zeichen sein, dachte Elke. Wie denn. Er sieht so gut aus, und ich – ich will lieber vergessen, wie ich aussehe…
Vergiss es. Genieße einfach den Moment. Du kannst ja so tun, als ob. Wenn du alleine bist, träumst du dir ja auch immer alles Mögliche. Dagegen ist das hier absolut echt. Lieg einfach wach, lieg einfach still. Neben dir liegt Max, Max mit den braunen Augen und den Haarfransen in der Stirn. Mit schmalen Hüften, langgliedrigen Händen und breiten Schultern, die jetzt noch ein Stück weiter unter der Decke hervorrutschen…
»Max?« flüsterte sie.
Nur regelmäßiges Atmen.
»Ich habe noch nie… ich habe noch nie in dieser Wohnung übernachtet.«
Elke stützte sich vorsichtig auf dem Ellenbogen hoch und peilte über Max’ Schulter zu seinem Gesicht. So weich und entspannt.
»Ich habe auch noch nie mit einem Jungen…«
Sie legte sich wieder hin und rückte so dicht an Max heran, bis sie seine Wärme durch die Decke spürte.
»Ich sag’s dir wahrscheinlich nur dieses einzige Mal, Max, das trau ich mich nie wieder. Diese bescheuerte Bronstein hat leider Recht: Mit dir, das war für mich Liebe auf den ersten Blick…«
Die Antwort war ein fulminanter Schnarcher.
Es war nicht einfach dunkel. Es war schwarz. Oleg sah absolut nichts. Seine Augen? Er befühlte vorsichtig sein Gesicht. Alles da, und alles tat weh – der Kopf, die Brust, der Rücken… Oleg nahm das erst mal als gutes Zeichen. Tot war er also nicht, und bewegen schien er sich auch zu können. Aber was war passiert? Das Auto, fiel ihm ein. VW-Touareg. Verfolger. Hirschpark…
Er lag sehr hart. Tastend erkundeten seine Hände den Boden. Eiskalt, Stein oder Beton. Kein Waldboden. Außerdem gab es keinen Luftzug und keine Geräusche – obwohl Oleg sich jetzt eines entfernten, monotonen Vibrierens bewusst wurde. Eine Maschine? Jedenfalls lag er irgendwo im Inneren eines Gebäudes, und obwohl sich nichts erkennen ließ, sagte ihm sein Gefühl, dass er sich tief unter der Erde befand. Oleg rappelte sich trotz des stechenden Schmerzes in der Brust auf, machte einen Schritt nach vorn und stürzte fast – etwas klirrte metallisch und stoppte seinen Fuß mitten in der Bewegung. Eine Fessel. Er kniete sich hin und tastete danach: Eine massive Kette an einem nicht minder massiven Metallring, der sich eng um sein Fußgelenk zog. Das andere Ende der etwa armlangen Kette hing um ein Rohr, das scheinbar mitten im Raum aus dem Boden wuchs – vermutlich bis zur Decke, nach der sich Oleg vergeblich ausstreckte, soweit es seine Schmerzen zuließen. Eingesperrt…
Wütend riss Oleg an der Kette, bis in ihm das Gefühl aufstieg, vor dem er sich am meisten fürchtete: Nackte Angst. Er warf seinen Körper gegen das Rohr und schrie vor Wut und Panik.
»Scheißkerle! Das ist nicht witzig! Lasst mich los! Wo seid ihr?«
Eine Tür knallte auf, von einer Sekunde zur anderen blendete
Weitere Kostenlose Bücher