Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schroeter
Vom Netzwerk:
sich mit den Füßen auf seine Schultern und war mit Kopf und Oberkörper schon durch die Luke. Blieb aus seiner Sicht noch genug übrig zum Gucken. Die Kripofrau stemmte sich durch die schmale Öffnung, rollte sich aufs Flachdach und schaute noch einmal in den Gang zurück. »Darf ich mir die Jacke noch weiter ausleihen?«
    »Zieh mich hoch!«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich schreie um Hilfe! Dann kriegen sie dich!«
    »Das tust du nicht. Danke.«
    Weg war sie. Max war sauer. Natürlich würde er sie nicht verraten. Aber woher wusste sie das? Stand auf seiner Stirn etwa groß »GENTLEMAN« geschrieben? Er federte kurz, sprang aus dem Stand, streckte sich und bekam den Rand des Oberlichts zu fassen. In der Schule hatte er am Reck immer eine traurige Figur abgegeben, aber nun verliehen ihm die Wut und vor allem das tägliche Rikschatraining genug Kraft für den entscheidenden Klimmzug. Er hebelte sich durch die Luke und landete in fließender Bewegung neben Bronstein, die bäuchlings auf dem Dach kauerte. Sofort stupste sie ihn beschwichtigend an und zischte flüsternd: »Klappe halten!«
    Es standen tatsächlich Posten vor den Toilettenfenstern. Zum Glück unterhielten die sich laut und schienen nicht besonders bei der Sache zu sein. Warum auch – wer es wagen sollte, durchs Fenster zu flüchten, den würden sie auf jeden Fall erwischen. Max wandte sich vorsichtig zurück zum Oberlicht und legte den zurückgeklappten Lukendeckel sachte wieder vor die Öffnung. So fiel es von unten nicht gleich auf, dass da jemand übers Dach getürmt war.
    Leise schlichen sie gebückt übers Dach bis zum entfernt gelegene Ende. Das lag im Schatten des benachbarten Gebäudes und weit genug weg vom Clubeingang, vor dem zwei Polizei-Mannschaftsbusse parkten. Max ertastete die Regenrinne, schwang sich vom Dach und ließ sich langsam am Fallrohr zu Boden gleiten. Kaum stand er unten, folgte ihm Bronstein nach. Sie entdeckten einen Durchgang zum Nachbarhof, stiegen über ein Gittertor und befanden sich auf der Wendenstraße. In Sicherheit. Einen Moment lang verharrten sie unschlüssig.
    »Also noch mal. Danke. Und wenn ich die Jacke noch ausleihen dürfte…« Man hörte es Bronsteins Stimme an, dass sie fröstelte. Kein Wunder, angesichts ihrer spärlichen Montur.
    »Wo wohnst du?« fragte Max.
    »Hoheluft. Itzehoer Weg.«
    »Bis jetzt bist du deinen Kollegen entwischt – aber wenn du so durch die Stadt marschierst, wirst du garantiert verhaftet.«
    »Hast du eine bessere Idee?«
    »Meine Rikscha. Steht gleich um die Ecke.«
    Sie kämpfte nicht lange mit sich und nickte. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg, einen Bogen um jede Straßenlaterne schlagend. Bronstein hatte den Reißverschluss der Fleecejacke bis zum Anschlag hochgezogen, aber es war immer noch April in Hamburg. Die Nacht strich mit kalten Fingern über die Haut, und aus dem Mittelkanal krochen feuchte Nebel. Bis sie das Gelbe Ungetüm erreicht hatten, schlotterte Bronstein am ganzen Körper. Max verfrachtete sie auf die Rückbank und schlug das Verdeck hoch – mehr Sicht- als Kälteschutz, aber immerhin.
    »D… d… danke«, klapperte sie.
    »Du brauchst so schnell wie möglich was zum Anziehen«, entschied Max, »und reden müssen wir auch. Nicht erst in Hoheluft.« Er zog sein Mobiltelefon aus der Jeans und wählte Elkes Nummer. Sie meldete sich sehr schnell. »Elke? Gut, dass du noch wach bist! Ist dein Vater noch weg? Darf ich vorbeikommen? In einer Viertelstunde. Ich komme nicht allein… Macht nichts? Danke, bis gleich!«
    Er steckte das Telefon weg.
    »Die Dicke?« Bronstein starrte ihn entgeistert an. »Du glaubst doch nicht, dass ich da mitkomme.«
    »Ich glaube nicht, dass mich das interessiert!« entgegnete Max scharf. »Warum hast du im ›Hell on Earth‹ Kellnerin gespielt? Erzähl’ mir nicht, das ist dein Zweitjob!«
    Sie schwieg verbissen. Gar nicht so einfach, wenn die Lippen vor Kälte zittern.
    »Ich verrate dir was«, setzte Max nach. »Ich war auch nicht im Club, um mich zu amüsieren. Und ich habe etwas herausgefunden.« Er zückte den Schlüssel, den er vom Schreibtisch des Geschäftsführers genommen hatte, und hielt ihn dicht vor Bronsteins Riesennase. »Aber was es damit auf sich hat, erfährst du nur, wenn du jetzt mitkommst! Also – rein oder raus?«
    Max ließ den Schlüssel wieder in der Hosentasche verschwinden. Bronstein funkelte ihn nur zornig an und lehnte sich mit verschränkten Armen in der Rikscha zurück. Max schenkte ihr ein

Weitere Kostenlose Bücher