Der Rikschamann
hat der damit zu tun?«
»Weidemann & Co. – er sitzt im Aufsichtsrat.«
Hagen schnappte sein Gepäck und verschwand fluchtartig im Hotel, ohne noch ein Wort zu verlieren. Max beschmunzelte seinen Bluff nur innerlich, fuhr wieder an und hielt Ausschau nach einer Abstellmöglichkeit für die Rikscha. Ein Stück weiter, noch am Heidenkampsweg, fand er einen verlassenen Firmenparkplatz und darauf einen unbeleuchteten Winkel hinter einem abgestellten Lkw-Hänger, der so aussah, als würde er hier schon seit Jahren vor sich hin rosten. Genau das richtige Versteck für das Gelbe Ungetüm. Max schaltete die neuen Fahrradlampen aus, die er sich vorhin noch im Hauptbahnhof besorgt hatte, schloss die Rikscha an und machte sich auf den Weg.
Zu Fuß überquerte er die Brücke über den Mittelkanal, in dessen Sichtachse der rote Bahnsteig des S-Bahnhofs Hammerbrook ragte wie ein futuristischer Expresszug. Überall Chrom und Glas, Fassaden aller Güteklassen von »Missraten« bis »Originell«. Früher wohnten in Hammerbrook die Malocher aus dem Hafen. »Hamburg zwischen den Weltkriegen«, Seminar mit Professor Doktor Horst Straschitz, von Max schon im vorletzten Semester absolviert. Ein lebendiges Arbeiter-Wohnviertel, bis im Sommer 1943 die »Operation Gomorrha« und der anschließende Feuersturm darüber hinwegfegten und eine Todeszone aus Trümmern und verkohlten Leichen hinterließen. Erst Jahrzehnte nach dem Krieg mutierte das brache Areal zum Architekten-Abenteuerspielplatz. Jetzt hieß es globalisierungsheischend »City Süd« und bestand fast nur noch aus Büros. Nachts war hier weniger los als auf dem Dorf kurz vor dem ersten Melken. Und vielleicht war genau das der Grund dafür, einen Club in dieser Ecke zu etablieren, überlegte Max, während er in die Wendenstraße einbog. Diskreter konnte man sich in Innenstadtnähe wohl kaum amüsieren – keine Anwohner, keine Passanten. Promis wie Pete West wussten das bestimmt zu schätzen.
Auf den ersten Blick ließ sich der Club von der Wendenstraße aus nicht erkennen. Weder laute Musik noch schrilles Partyjuchzen wiesen den Weg, keine Leuchtreklame blinkte durch die Nacht. Max hatte die Straße schon zum größten Teil hinter sich gebracht, als ihm ein unverschlossener Torweg auffiel. Im weiten Innenhof dahinter flackerte ein schwacher Lichtschein. Erst hier waren gedämpft hämmernde Beats zu vernehmen. Max erkannte über einem Eingang zum Hinterhaus eine dezente Leuchtschrift: »HELL ON EARTH«, wabernd wie ein künstliches Kaminfeuer. Er erinnerte sich, in den Internet-Fan-Foren ein Foto gesehen zu haben, das Pete West genau vor diesem Eingang zeigte. Es passte alles zusammen.
Leider stand vor dem Eingang zum Club ein beeindruckend breitschultriger Zerberus. Sein auf seriös trainiertes Dauergrinsen stand im grotesken Gegensatz zum affigen Pferdeschwanz, zu dem er seine halbmeterlange, ölige Haarpracht zusammengerafft hatte – aber über diesen Kontrast traute sich in seiner Gegenwart bestimmt niemand laut zu lachen. Max auch nicht. Zumal ihn eher die Frage beschäftigte, wie er in seinen Normalo-Klamotten am Türsteher vorbeikommen sollte. Jeans, Sweatshirt und darüber eine Fleecejacke mit »HAMBURG«-Schriftzug. Nichts, womit man glamourmäßig punkten würde. Nach Hause und umziehen? Zwecklos. In seinem Schrank hing nichts anderes. Und die Sachen von Oleg passten ihm nicht.
Max trat zurück in den Schatten und beobachtete den Eingang eine Weile. Zweimal kamen Nachtschwärmer von der Straße in den Hof, offenbar ganz gezielt: Erst ein Pärchen mittleren Alters, dann ein Trupp Jungspunde, alle modisch durchgestylt. Das Pärchen passierte problemlos die Höllenpforte, von den Jungspunden wurden zwei ohne erkennbaren Grund abgewiesen. Sie nahmen ihre Ablehnung durch den Türsteher wie ein Gottesurteil widerspruchslos hin und trollten sich, während der Rest der Gang unter schadenfrohem Gelächter im Club abtauchte. Kein Durchkommen, schätzte Max.
Plötzlich wurde an der Seite des Gebäudes eine Tür geöffnet, gut 20 Meter vom Clubeingang und dem Türsteher entfernt. Ein schmalbrüstiger Küchenhelfer trug einen Eimer heraus zu einem Abfallcontainer, entleerte ihn und schlich zur schattigen Rückseite. Max sah ein Feuerzeug aufflammen und dann das rote Glimmen einer Zigarette. Da nahm einer eine kurze Auszeit. Max peilte kurz zum Türsteher: Den hielt gerade eine kichernde Girlie-Gang in Schach. Max huschte zur offenen Tür und betrat das Gebäude, ohne Aufsehen
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